Der Evangelist Markus beschreibt den Moment, das momentum, des Auftretens Jesu mit dessen Ausruf: „Die Zeit ist erfüllt“ – der „kairós“ist da. „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen! Ändert Euren Sinn und glaubt dem Evangelium!“
Daraufhin zählen wir unsere Zeit als Jahre des Herrn. Und so die Jahrtausende. Aus seinem zweiten sind wir ins dritte hinübergegangen. Brachte der Übergang aus dem ersten ins zweite die Trennung in eine östliche und eine westliche Hälfte des Christentums mit sich, so der ins dritte den Auftrag, beizutragen, dass wieder „zusammenwächst, was zusammengehört“. Die Erfüllung dieses Auftrags, seit einem Jahrhundert erkannt und nun allseits anerkannt, könnte mit Gottes Hilfe gelingen in unserem kirchengeschichtlichen Augenblick – einem historisch beispiellosen „kairós“. Der sei mit wenigen Stichworten markiert.
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Die Gebete und Bekenntnisse zur Jahrtausendwende zeugten gleichermassen von Dankbarkeit für die Treue Gottes, von Buss- und Vergebungsbereitschaft in und zwischen den Kirchen und von Selbstverpflichtungen zur Bereitschaft, dem Gebet und Ruf Jesu nach Johannes 17 zu folgen.
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In der abendländischen Christenheit gab es bedeutsame Zeichenhandlungen wie den Besuch von Papst Benedikt XVI. im Augustinerkloster Luthers zu Erfurt 2011 und den Empfang der Vertreter der sich auf Botschaft und Martyrium von Jan Hus gründenden Hussitischen Kirche und der Böhmischen Brüderkirche durch Papst Franziskus 2015 zu gemeinsamem Gedenken an den Apostelgräbern zu Rom, wie auch die in Deutschland von der EKD durchgeführte „Reformationsdekade“ bis 2017 zu bedeutsamen evangelisch /r.-katholischen Annäherungen und Versöhnungsgesten führte.
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Das Jahr 2013 sah ausserordentliche Aufbrüche auf Weltebene:
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Im Gefolge ihrer „Gemeinsamen Erklärung“ am Vorabend der Jahrtausendwende,1999, welche den fünfhundertjährigen Streit um die Rechtfertigungslehre beendete, erging 2013 von der Gemeinsamen Kommission von Vatikan und Lutherischem Weltbund die wegweisende Erklärung „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“, die jene Versöhnungsgesten grundierte, bis hin zum Besuch des Papstes bei der 50-Jahrfeier des Lutherischen Weltbundes in Schweden beim 500-Jahrgedenken 2017 der reformatorischen Aufbrüche am Beginn der Neuzeit.
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Seit demselben Jahr 2013 amtiert Papst Franziskus, welcher mit seinem Namen ein universal-christliches Programm verkörpert und dies mit der Botschaft „Evangelii gaudium“ formuliert hat: von der Freude, die das Evangelium verkündet und die von ihm ausgeht und den Blick auf alles erneuert bis hin zur Ökologie und zur Ökumene.
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Und in demselben Jahr 2013 tagte die X. Vollversammlung des Weltrats der Kirchen in Busan, Korea, welche eine seit Jahrzehnten unter Mitwirkung aller Kirchen erarbeitete Vision von der Einheit der Kirche verabschiedete und den Kirchen zur Rezeption vorgelegt hat, in Erwartung ihrer Rückmeldungen.
- Ferner erlebte das Jahr 2016, das Jahr vor dem Symboldatum der westlichen Kirche 2017, das seit einem Jahrhundert angestrebte, immer wieder, nicht zuletzt aufgrund politischer Hindernisse verschobene Ereignis eines Grossen Konzils der Ostkirche nach zwölfhundert Jahren, wenngleich nicht umfassend beschickt und wieder ohne die orientalisch-orthodoxen Kirchen.
In solch qualifiziertem zeitlichen Umfeld sind wir in die Phase nach 2017 eingetreten. In ihr müssen wir uns vorbereiten auf ein weiteres Jahr mit bedeutsamen Ereignissen, auf 2021. Zunächst Daten der Erinnerung:
- beginnend sogleich im Januar mit dem Datum des fünfhundertsten Gedenkens der Exkommunikation „Luthers und seiner Gefolgschaft“, und damit der Einleitung der nächsten, der nun ausufernden abendländischen Kirchenspaltung, die danach niemand mehr aufzuhalten vermochte, sowie,
- bald danach, im April, mit dem Gedenken an den Wormser Reichstag, wo sich, beide eindrücklich bis heute, gegenüberstanden: der Augustinermönch-Professor, der auf die Heilige Schrift und sein an diese gebundenes Gewissen verwies, und der soeben gewählte junge Kaiser des Hl. Römischen Reichs, der stolz auf seine Familientradition verwies in Treue zur Hl. Römischen Kirche und die Bewahrung der Einheit von Reich und Kirche beschwor – jeder von beiden streitend für ein kostbares, ihm zu recht „heiliges“ Gut.
Auf diese folgen die Daten, an denen wir die Chance der weiteren Aufarbeitung dieser Erinnerungen haben werden:
- im Mai, der nächste Ökumenische Kirchentag – der dritte nach denen in Berlin (2003) und München ( 2010). Und
- im August, die XI. Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen, erstmals auf deutschem Boden.
- Welche Gelegenheit, all das einzubringen, weiterzuführen und auf den Punkt zu bringen, was gerade im Land der einst unter Schmerzen begonnenen Reformation-en wiederum unter Schmerzen an Verständigung und Versöhnung schon erarbeitet wurde!
Mir geht es hier noch um eine weitere Möglichkeit. Zielt all diese Versöhnungsarbeit zunächst auf unser Verhältnis als Christen und Kirchen zueinander und untereinander – so hat sie ein Ziel doch darüber hinaus: eine Botschaft an die Menschheit zu richten – die Botschaft eben: „Evangelii gaudium“! Und das wird uns nur gelingen, wenn wir sie glaubhaft ausrichten, indem sie zugleich die Botschaft enthält: die Boten dieser Botschaft finden zusammen und wirken zusammen und rufen Euch diese Botschaft gemeinsam zu. Es ist die gemeinsame Stimme der Christenheit.
Diese gemeinsame Stimme ist möglich geworden, weil wir Vertrauen gefunden haben zueinander. Wir sind gemeinsam in einen konziliaren Prozess eingetreten, der uns in Lehre und Frömmigkeit, im Leben und im Handeln immer mehr zusammen und der Zukunft zugeführt hat. Und mögen bislang noch so viele Fragen offen geblieben sein und weiterhin unüberwundene Konflikte unter uns Christen im Raum stehen, nichts sollte uns länger hindern können, eine gemeinsame Stimme der Christenheit erklingen zu lassen – in die zeitgenössische Welt der Gewalt hinein. Es muss die evangeliumsgemässe Stimme sein, welche mahnt, ruft und ermutigt zu Frieden unter den Menschen in Frieden mit der Schöpfung – wie wir ihn unter uns fanden und leben wollen.
Nichts Geringeres möchte ich mir vorstellen, als eine Gesamtökumenische Enzyklika, die der Weltrat der Kirchen gemeinsam mit dem Vatikan ausgehen liesse. Die Zeit ist reif. Der Kairós ist da. Die Botschaft ist dringlich. Genf und Rom together.
Manfred Richter
In: IEF-Rundbrief, Deutsche Region, Nr. 88/2019, S. 20–22