Theologe und Philosoph: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (geb. 1768 in Breslau, 1834 gest. in Berlin). Eine Erinnerung 250 Jahre danach.

Manfred Richter
Germany, Berlin

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Veröffentlicht in: Inskrypcje VIII 2019 z. 1, S. 165-187

Abstract

This paper aims to give an introduction to a Protestant theologian who was a philosopher and at the same time a translator of Plato, a participant in the romantic scene and an intellectual who took part in the European struggles for emancipation of individuals and nations (also in favour of divided Poland) – all of this essentially reflecting his Christian convictions. With his famous essay „On Religion“, addressing the cultural elites of his time (1799), as well as his other philosophical and theological work, he gave a new foundation to religious thinking as a part of modern individual and societal life. The occasion of his 250th birthday in 2018 provides the opportunity to commemorate this German contemporary of Franciszek Karpiński: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher.

Keywords: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, philosophy, theology, romanticism, ecumenism

Einführung

Nach 600 Jahren Hus-Gedenken (Hinrichtung auf dem Konzil zu Konstanz 1415) und 500 Jahren Luthers 95-Thesen-Veröffentlichung 1517) steht das Gedenken an das 250. Geburtsjahr Schleiermachers an. Ohne Geschichtsbewusstsein ist verantwortungsvolle Gestaltung der Zukunft nicht möglich. Nach dem Böhmen Jan Hus und dem Sachsen Martin Luther ist dieses Jahr, weil ebenfalls von gesamt- christlicher Bedeutung, eines Schlesiers zu gedenken. Alle drei dieser Großen Mitteleuropäer gaben der Christenheit Reformimpulse, die bis heute nicht ausgeschöpft sind.

Dieser Schlesier und Preusse wurde der nächste grosse Kirchenvater, ein Kirchenvater zunächst des Protestantismus, aber ein Kirchenvater der christlichen Moderne. Ein Romantiker, ja, aber zugleich ein Praktiker, ein Reformer und ein Gestalter. Er ist beileibe nicht einfach als „Romantiker“ abzutun. Die grundlegende Reflexion über Religion und ihre vielfältige Sprache auch in der Kunst und eine wohl durchdachte neue Auffassung der christlichen Glaubenslehre gehen bei ihm zusammen. Er war Mitbegründer einer neuen Konzeption von Universität, wie sie in der Berliner Universität 1810 erstmals verwirklicht und weltweit Vorbild wurde. Zugleich war er lebenslang ein in allen Bevölkerungskreisen hoch verehrter Prediger. Er war ein tiefsinnig frommes Gemüt und ein scharfer Denker. Er wurde zum Freiheitskämpfer gegen Napoleon und als Demokrat kämpfte er gegen die Reaktion am Königshof und in der Bürokratie. Er war ein Vordenker des Zusammenwirkens der Kirchen des Protestantismus, wie es durch die Kirchenunion von Lutheranern und Reformierten in Preussen seit 1817 umgesetzt wurde, und erwog Möglichkeiten der gesamtchristlichen Ökumene. Zugleich bestritt er dem König das Recht auf Eingriffe in die Liturgie. So sehr er auch von Theologen-Kollegen kritisiert wurde, erhielt er auf sein Lebensende hin in England, Dänemark und Schweden ebenso grosse Anerkennung wie bei Gläubigen und Intellektuellen zuhause: 30Tausend Trauernde (ein Viertel der Einwohnerschaft Berlins zu jener Zeit) sollen den Leichenzug begleitet haben zum Friedhof seiner Dreifaltigkeitskirche.

Ist er längst „tot“ oder braucht ihn die Theologie noch oder wieder ? Vielleicht sogar die Ökumene, so sehr er ein Beispiel spezifisch protestantischen Denkens darstellt. Wir werden darauf am Ende unserer Überlegungen zurückkommen. Jedenfalls wurde sein gewaltiges Werk, das nach seinem Tod, zunächst unvollständig, in 31 Bänden einer Ausgabe „Sämmtliche Werke“ im Verlag Reimer zu Berlin seit 1834 veröffentlicht worden war, schon im 19. Jahrhundert hoch gewürdigt: „Er umfasste das Grösste, was seine Zeit bewegte, was die Generation vor ihm vorbereitet hatte. Der ganze Lebensgehalt der voraufgegangenen Epoche erhielt in ihm die Wendung auf das handelnde Leben, auf die Herrschaft der Ideen in der Welt“ sagt der Philosoph Wilhelm Dilthey1.

Jetzt wird seine Hinterlassenschaft erstmals in einer Kritischen Gesamtausgabe (KGA) herausgegeben, die, seit 1972 vorbereitet, seit 1980 im Gange ist, auf mehr als 50 Bände berechnet.2 Sie teilt sich in fünf Hauptabteilungen: I Schriften und Entwürfe, II Vorlesungen, III Predigten, IV Übersetzungen, V Briefwechsel und biographische Dokumente. So findet dieses Werk zunehmendes Interesse, auch im Blick auf ihre verschiedenen Anteile wie Philosophie und Theologie, Psychologie und Pädagogik, Kirchenpolitik und Staatslehre, Literarisches und insbesondere auch Predigten, dazu Briefe und eine umfangreiche Korrespondenz, in denen sich immer der Mensch Schleiermacher zeigt.

Das Verständnis seines Werks ist, wie selten, stark an das seiner Persönlichkeit und seiner Biographie geknüpft. Daher muss hier versucht werden, beides parallel zu skizzieren. Doch dies auch im Blick auf den Leser seines Werks und dieser kleinen Einführung – inwiefern nämlich gerade diese Verknüpfung uns zur Bewertung seines Denkens und als Anregung für unsere eigenen Fragestellungen dienen kann. Denn der zur Mündigkeit aufgerufene Christ unserer Tage mag an dieser Gestalt eines „modernen“ Gläubigen exemplarisch ermessen und nachvollziehen, wie sehr er für die Gestalt seines eigenen Glaubens auskunftsfähig und mitteilungsfähig ist.

I Herkunft und Schulzeit

Schon mit seiner Jugendphase werden wir eintreten in den geistig-geistlichen Umkreis des Grafen Zinzendorf3 und seiner Erneuerung des Erbes der aus ihrer tschechischen Heimat nach Polen und Sachsen vertriebenen Böhmischen Brüderkirche und ihres letzten Bischofs der älteren Zeit, des Comenius4. Zunächst selber in Wittenberg, dann im Zentrum des lutherischen Pietismus, bei August Hermann Francke zu Halle5 geschult, hatte Zinzendorf in dem von ihm neu gegründetenj Ort „Herrnhut“ in der sächsischen Oberlausitz 1722 die von hier aus europaweit und bis nach den beiden Amerika sich ausbreitende „Erneuerte Brüderunität“ gegründet, nun „Brüdergemeine“ genannt. Er war von dem bei Danzig / Gdańsk geborenen Enkelsohn des Comenius, Daniel Ernst Jablonski, der zuvor in Lissa / Leszno wie sein Grossvater das dortige Brüder-Gymnasium geleitet hatte und dann zum Hofprediger nach Berlin berufen war, zum Bischof in der brüderischen Tradition geweiht worden6. So führte er deren geistliches Erbe weiter, nunmehr mit der lutherischen Tradition verbunden und in pietistischer Weise neu geformt. Dieser Gemeinschaft der „Herrnhuter“ gehörte Friedrich Daniel Ernst an, seit seine Eltern sich ihr angenähert hatten und ihr die Kinder zur Erziehung gaben.

Der Rufname Friedrich war zugleich ein Bekenntnis zu Preussen, in dessen Diensten der Vater als Feldprediger stand. Die Mutter gehörte der reformierten Pfarrerlinie der Stubenrauch an, einst aus Österreich ihres Glaubens wegen umgezogen. In Breslau / Wrocław geboren, hatte er dort eine Schule besucht, der der frühreife kluge Junge schnell entwuchs, so dass ihn die Eltern zum Privatunterricht zu sich nahmen, damit „sein Herz so gut wäre, als sein Verstand schon ist“. Als 1778 der Vater als Feldprediger nach Stadt und Schloss Pless berufen wurde, kam er dort auf die Stadtschule. Die Bekanntschaft mit den Herrnhutern in ihrer Ansiedlung „Gnadenfrei“, wo Friedrich seine erste religiöse Erweckung erlebt hatte, und Besuche in Herrnhut und Niesky führten zu dem Entschluss, die Kinder den als vorbildlich geltenden Ausbildungsstätten der Herrnhuter zu übergeben. So kam er 1783 in das Pädagogium in Niesky bei Görlitz, wo ihn allerdings erste Glaubenszweifel überfielen (die Leiden Christi als Strafen für seine Sünden zu verstehen, fiel ihm zunehmend schwer). Gemeinsam mit einem guten Freund, einem späteren Brüderbischof, strebte er den den Gläubigen verheissenen „übernatürlichen Gnaden“ nach. Er meinte sie erstmals zu erleben (nachdem er daran schon gezweifelt hatte), als er sich innerlich bereitfand, auf die schon er-dachte Karriere als Gelehrter zu verzichten und „einfacher“ Prediger zu werden7.

1785 folgte das brüderische Seminar zur Theologen-Ausbildung in Barby / Elbe. Hier kam es zur religiösen Krise, wieder der Versöhnungslehre wegen, die ihn zum Konflikt mit dem Vater führte, der darin einen Abfall vom Gottesglauben sah. Nicht freilich sah das so der Sohn. Noch später bekennt er: „Frömmigkeit war mir die mütterliche Leib, in dessen heiligem Dunkel mein junges Leben genährt und auf die ihm noch verschlossene Welt vorbereitet wurde“ (das Elternhaus), „in ihr atmete mein Geist, ehe er noch sein eigenes Gebiet in Wissenschaft und Lebenserfahrung gefunden hatte“ (Niesky); „sie half mir, als ich anfing, väterlichen Glauben zu sichten und Gedanken und Gefühle zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt“ (Barby). Nur verlangte er, in Halle studieren zu dürfen, wo schon die kritischen Schriften von Immanuel Kant kursierten, die man in Barby nur heimlich lesen konnte. Seine Studienzeit dort waren die Jahre 1787-1789.

Und so konnte er sich auch später durchaus bekennen als einen “Herrnhuter“, wenn auch „höherer Ordnung“, wenn er sagt: „Hier entwickelte sich zuerst die mystische Anlage, die mir so wesentlich ist und mich unter allen Stürmen des Skeptizismus erhalten und gerettet hat. Damals keimte sie auf, jetzt ist sie ausgebildet, und ich kann sagen, dass ich nach Allem wieder ein Herrnhuter geworden bin, nur in einer höheren Ordnung“.

Dies werden wir immer wieder erkennen können in den Hauptphasen seiner geistigen Entwicklung und in den Hauptgestaltungen seines theologischen Werkes: in seinen „Reden über die Religion …“, in seinen Predigten und Dichtungen, in seiner Konzeption des theologischen Studiums und in seinem Hauptwerk, der Glaubenslehre – wobei er sein theologisches Werk immer parallel zu seinem philosophischen Werk entwickelt.

Von deren Verhältnis zueinander sagt er zweierlei aus: sie stehen unabhängig voneinander da – zugleich widersprechen sie einander nicht. Wie er einmal schreibt: “sie sind fest entschlossen einander nicht zu widersprechen8. Weder also ist die Theologie abhängig von irgendeiner Philosophie, vielmehr ist sie ganz „autonom“ bzw. eben „theonom“. Noch ist die Philosophie, das vernünftige Denken, von einem Glaubenssatz abhängig, vielmehr vermag sie frei aus ihren eigenen Prinzipien heraus, das Ganze von Welt und Mensch als System zu denken. Der Theologie verhilft sie dabei jedoch zu klaren Begriffen für eine konsequente Gestaltung ihres eigenen Ganzen an Erkenntnis von Gott, Welt und Mensch – ihres Angebots an die Menschheit. So kommt es bei Schleiermacher zu einer bislang nicht erreichten Geschlossenheit des Systems auch der Theologie – einer Tendenz neuzeitlichen theologischen Denkens gemäss, wie es schon von Thomas von Aquin gefordert, bis dahin aber (vielleicht Calvins Institutio ausgenommen) noch nie verwirklicht war9.

Studium und Ausbildung

In Halle wehte, parallel zu dem noch vorherrschenden Geist des Pietismus, bereits der Wind der Aufklärung. Dies besonders in der neuen historisch-kritischen Sicht auf die Entstehung der biblischen Bücher und die Dogmenentwicklung, wofür der Name von Johann Salomo Semler stehen mag10. Wichtiger aber war dem jungen Theologiestudenten der Kontakt mit dem Altphilologen F. August Wolf, Freund Goethes und Wilhelm von Humboldts, mit dem er sich über die altgriechische Philosophie austauschte, und die anhebende Auseinandersetzung um die kritische Philosophie Kants11, die ihm zunächst durch einen Lehrer begegnete, der noch, vor-kritisch, am Leibniz-Wolff’schen System festhielt. Ihr stand er von Anfang an keineswegs un-kritisch gegenüber (wie ihn auch die Persönlichkeit Kants, den er einmal in Königsberg bei seinem Besuch eines dort studierenden Dohna-Sohns, s. u., kennenlernte, nicht fesselte). Eigenständig forschte er über Kant weiterhin auch bei seinem Onkel mütterlicherseits Stubenrauch in Drossen (nahe Küstrin/ Kostrzyn), wo er sich für sein I. Examen vorbereitete, das er 1790 ablegte.

Danach wird er in eine Hauslehrerstelle zu der Grafenfamilie Dohna nach Schlobitten /Ostpreussen delegiert, wo er 3 Jahre lang verweilt, bis 1793. Dort lernte er die feine adelige Lebensart kennenen und erlebte vielleicht eine erste Liebesneigung zu einer Tochter des Hauses. Nach einer Phase an der ersten („Gedike’schen“) Gymnasial-Lehrerbildungsanstalt in Berlin muss er, frisch ordiniert, als Predigthelfer von 1794-1796 in Landsberg a. d. Warthe / Gorzòw aushelfen, um schliesslich wieder in Berlin zu sein, betraut mit einer Stelle als reformierter Prediger an der Charité, dem Militär- und Bedürftigenkrankenhaus.

Während er zunächst Kant mit der Tradition der älteren Metaphysik, wie sie sein philosophischer Lehrer Eberhard noch vertrat, vermitteln wollte, hat er nun in seiner Studie „Kurze Darstellung des spinozistischen Systems“ Spinoza seinen Respekt erwiesen, „dessen Kernsatz ‚Es muss ein Unendliches geben, innerhalb dessen alles Endliche ist‘ die traditionelle Unterscheidung von Jenseits und Diesseits obsolet erscheinen liess“12 (Jüngel, A.a.O. Sp. 905). Spinoza ist dann der einzige Name, den Schleiermacher in seinen berühmten Reden „Über die Religion“ als Gewährsmann nennen wird. Ihm will er hier „eine Locke opfern“.

III Im Salon der Henriette Herz und dem Kreis der Romantiker

Berlin war nun eine neue Welt für den „Herrnhuter“. Sein schon aus Barby, besonders aber aus Hallenser Zeit ihm bekannter schwedischer Freund Brinkmann, der inzwischen in die Dienste der Berliner Botschaft seines Landes getreten war, hatte ihn in Berliner gesellige Kreise eingeführt, so zumal in den Salon von Henriette Herz geb. Lemos (einer portugiesisch-jüdischen Familie), selbst Arzttochter und mit dem Kant verehrenden Arzt Markus Herz verheiratet, gest. 1803. Mit ihr verstand er sich besonders gut und sie mit ihm. Man traf sich zeitweise fast täglich, auch zum Vorlesen zeitgenössischer Literatur wie etwa von Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahren“. Aus seiner Sicht war dabei „von dem Verhältnis von Mann und Frau keine Rede“ (was bei ihr in der sie verbindenden herzlichen Freundschaft eine „zarte“ Neigung nicht ausschliesst). Gerne und noch lange sprach sie von ihrem “Schleier“, zu dessen späterer Ehe sie Vermittlung geleistet haben soll13.

Hier trafen sich mit ihr und untereinander Intellektuelle wie Wilhelm von Humboldt14 und Alexander von Dohna – mit beiden wird er beruflich zu tun bekommen, sowie Friedrich Schlegel (1772-1829)15, der dort wiederum Dorothea Veit treffen wird, ebenfalls aus jüdischer Familie stammend, seine spätere Ehefrau.

Mit Schlegel wird er zunächst auf ein paar Jahre zusammenziehen. Die beiden werden grosse gemeinsame Pläne schmieden, so zu der die griechische Antike für die Moderne beschwörenden Zeitschrift Athenäum (mit der Idee zu „Fragmenten“ einer „Universalpoesie“) und für eine Plato-Übersetzung16. Ausführen wird letzteres freilich Schleiermacher allein, in lebenslangem Einsatz17. Noch aber ist gerade er ohne sonstige relevantere Veröffentlichungen geblieben – man drängt ihn nun dazu18.

Sehr charakteristisch ist hier ein unvollendet gebliebener Text zu einer Theorie des geselligen Betragens. Er reflektiert die Geselligkeit jener Kreise, deren Reiz darin besteht, dass jeder und jede seine / ihre individuelle Eigenart ausdrücklich, womöglich kunstreich aus-spielt und so den Reichtum der Begegnung erhöht, zugleich aber sich selber zu spiegeln versteht. Durchaus darf, ja muss dabei die Geschlechterpolarität bedacht bleiben – ein genuin paritätisch gedachter Ansatz, dem er einen Katechismus der Vernunft für edle Frauen widmete („Du sollst keine Ehe schliessen, die gebrochen werden müsste“; „Du sollst nicht geliebt werden wollen, wo du nicht selber liebst“;„Lass dich gelüsten nach der Männer Kunst, Weisheit und Ehre“). Mit einer Verteidigung eines die Liebe der Geschlechter zueinander in einer allzu offen-herzigen, „romantisch“ überschwenglichen Weise feiernden Romans Friedrich Schlegels, Lucinde, stand der junge Pfarrer seinem Freunde bei durch seinen Briefroman Vertraute Briefe über Lucinde19das Ideal sinnlich-geistiger Liebe und paritätischer Partnerschaft teilend, die Vorwürfe seiner Vorgesetzten tapfer zurückweisend. Solche Gedankenwelt wird eingehen in die übernächste Publikation in jener frühromantischen Phase, Monologen, pünktlich zum Auftakt des neuen Jahrhunderts 1800 erschienen20. Hier gibt sich das Individuum – für dieses ist es die Programmschrift der Moderne schlechthin! – im „Selbstgespräch“ Rechenschaft darüber, wie es selbst die „Menschheit“ verkörpert, repräsentiert – und der Mit-Welt bedarf. Schleiermacher steht darin einerseits unserem Individualismus-Denken nahe, aber dessen gängiger existentialistischer oder sonst isolationistischer Auslegung denkbar entfernt entgegen.

Zuvor freilich, im April 1999 – er war für ein paar Monate als Hofprediger in Potsdam, wo er sie fertigstellte – ist zur Frühjahrsmesse erschienen, anonym, wie auch noch die Monologen, die relativ kleine Schrift, die bald wie ein Donnerschlag widerhallte Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern21. Hier kommen nun ganz und gar neue Töne auf zu dem was Religion sei: „Gefühl“! und „Anschauung“ ! „des Universums“! Bei jedem dieser Begriffe musste der Leser stocken: Religion ist doch, bislang, gesetzliches Regelwerk, das zu beachten ist, genaue Vorgabe einer Institution (der verfassten Kirche), die streng zu befolgen ist22 – nun also „Gefühl“! Und was soll hier „Anschauung“ heissen? Bislang ist das erst die selige Schau in der Ewigkeit. Und weiter: Religion sei „Sinn und Geschmack für das Unendliche“ – ganz und gar „sinnliche“ Ausdrücke also für das Über-Sinnliche.

Erst recht musste man sich wundern, nein aufregen, ja: empören über all das, was Religion nun ausdrücklich nicht mehr sein soll: weder „Metaphysik“ – auf der doch die ganze Theologie der Jahrtausende ruht ! Noch nicht einmal „Moral“ – wo doch gerade sie die Rückzugsbasis des jüngeren Rationalismus in seinen besseren Vertretern war, etwa bei Freund Spalding, dem berühmten Prediger lutherischer Aufklärungstheologie an der Berliner Nikolaikirche23. Vollends trug ja die Moral, jetzt „transzendentalphilosophisch“ gefasst, das System der Religion innerhalb der Grenzen der reinen Vernunft“ bei dem grossen Kant. Das alles soll Religion nun nicht mehr sein! Nein, dass alles soll sie nicht sein. Mit dem allen hat Religion in Schleiermachers Reden nichts zu tun. Sie ist vielmehr etwas ganz anderes. Zugleich ist sie etwas noch viel Fundamentaleres als das Gedachte der Metaphysik oder das Gewollte der Moral. Vielmehr hat sie eine „eigene Provinz“ im Gemüt, welches dieses eigene Organ für jenen Geschmack des Unendlichen ist und sich daran erquickt. Und so gelten diese Reden all jenen vermeintlich Gebildeten, die – sei es als metaphysische Spekulanten oder als Moralisten – das religiöse Wesen des Menschseins verkennen, die damit im eigentlichen Sinne gerade die Un-Gebildeten sind, die er daher zur Religion zurückrufen möchte.

In fünf Schritten vollzieht sich dieser Aufruf: nach einer um Verständnis für sein Vorhaben bemühten „Apologie“ (I) wird dieses „Wesen der Religion“ (II) bedacht (und was es für ihre Vertreter bedeutet: „auch gab es unter wahrhaft religiösen Menschen nie Eiferer, Enthusiasten oder Schwärmer für das Dasein Gottes, mit grosser Gelassenheit haben sie das, was man Atheismus nennt, neben sich gesehen …“), sodann über die Bildung zur Religion (III) (durch Aufhebung der Ver-Bildung und durch Beispiel), sodann – sehr charakteristisch – „Das Gesellige in der Religion, über Kirche und Priestertum“ (IV) gehandelt. Mit einem bis heute beachtlichen Schluss „Über die Religionen“ (V) wird geendet – wobei die Figur eines „Mittlers“ auftritt, in dem eine eigentümliche Religion erstmals angeschaut werden kann. Denn „die“ Religion, und das ist ein Meilenstein über den bisherigen Rationalismus hinaus, gibt es, den „Reden“ gemäss, immer nur in konkreten geschichtlichen Ausgestaltungen: in den Religion-en.

Die weiteren Auflagen (1805, 1821 und 1831) werden durch gewisse Abmilderungen modifiziert, die auf mehr oder weniger berechtigte Einwände eingehen wollen. Bereits in der dritten Auflage kann er vermerken, dass diejenigen, die er einst angesprochen hatte – die idealistischen Spekulierer oder die nützlich-moralistischen Pragmatiker – schon gar nicht mehr vorherrschen, aber dass er jetzt gegen die konfessionalistischen Restaurierer reden müsse: gegen die nämlich, die seinen inzwischen hoch reflektiert und philosophisch wie theologisch ausgearbeiteten Neu-Ansatz einer Glaubenslehre, die gleichzeitig mit der 2. Auflage der Reden 1821 erschienen war, (noch immer) nicht verstanden oder verstehen wollten als das Angebot einer anderen Art, aus dem Glauben heraus zu denken und zu reden. In einer Art nämlich, die einem nach-metaphyischen, einem nach-Kantischen Zeitalter zu entsprechen versucht. Die somit verhindert, dass Glaube und Vernunft, dass unser Glaubensbewusstsein und unser vernünftiges Wahrheitsbewusstsein auseinanderfallen, wechselseitig blind zu einander sind oder gar meinen, einander als Feinde gegenüberstehen zu müssen.

IV Rückzug nach Stolp / Słupsk

Die Zeit der hochgestimmten „romantischen“ Begegnungen, bei denen zwischenzeitlich auch eine Liebesneigung zu einer, wenn auch sehr unglücklich verheirateten und scheidungswilligen Frau, Eleonore Grunow, eine Rolle spielte, ging 1802 zu Ende. Es geschah durch die Versetzung in ein entlegenes Pastorat, auf das ihn sein Vorgesetzter im reformierten Kirchendirektorium, S.F.G Sack, entsandte – besorgt um den Umgang des jungen Pfarrers und seinen Verkehr in dem Salon einer Jüdin24. Auch was Die Reden angeht, hatte er sein Unverständnis deutlich zum Ausdruck gebracht.

Die ehemalige Hofpredigerstelle war jetzt nur mit Seelsorge für einige zerstreute reformierte Familien verbunden, während die Mehrzahl der Bevölkerung lutherisch war – so dass er bereits hier „Unvorgreifliche“ Erwägungen zu einer Vereinigung der lutherischen und reformierten Gemeinden im Gottesdienst an seine Kirchenbehörde schrieb. Später wird er in seiner Glaubenslehre, der ersten Dogmatik der Kirche der Union, dies theologisch begründen.

In der Hauptsache aber widmete er sich zwei Vorhaben. Einerseits dem noch mit Friedrich Schlegel verabredeten Projekt einer Plato – Übersetzung , das er in Stolp begann, und an dem er bis 1828 weiterarbeitete – einer unglaublichen philologischen wie auch schriftstellerischen, zugleich aber philosophischen Leistung, bis heute als der Normaltext von „Plato auf Deutsch“ allseits gewürdigt. Zum anderen erarbeitete er eine gründliche Durchsicht der Systeme der Ethik seit der Antike bis in die Gegenwart: Grundlinien einer Kritik der bisherigen Sittenlehre (1803), worin er auch Kant ob seiner reinen Pflichtenethik kritisiert25. Er war nun hinreichend vorbereitet für Rufe auf eine Professur. Die erste erging aus der neuen bayrischen Universität in Würzburg. Obwohl diese Stelle besser dotiert gewesen wäre, nahm er die Berufung auf eine a. o.-Professur in Halle an, das er ja kannte, aber auch, da er vorzog, in Preussen zu bleiben. Und da hier, was er sich ausbedungen hatte, eine Universitätspredigerstelle eingerichtet wurde.

V Professur in Halle: Theologie nicht ohne Philosophie – und eine „Weihnachtsfeier“

Nachdem er aber sich einst weit mehr für Philosophie interessiert hatte – sein einstiger Lehrer Eberhard aber, Wolff-Schüler, lehnte ihn nun, nach den Reden, scharf ab als „Atheisten“!26 – hatte er jetzt das weite Feld der Theologie zu beackern, Neuland, das er mit Bravour pflügte, wie die Überblickvorlesungen zur Enzyklopädie, Hermeneutik, Dogmatik und Ethik zeigen. Er hielt sie inmitten einer theologischen Kollegenschaft, der er „ein Dorn im Auge“ war: den „Altpietisten“ und den „Rationalisten“ gleichermassen. Beide Gruppen „verstanden nicht die transzendentalphilosophische Kritik an dem aufklärerischen Gottesbegriff und der in der Aufklärung noch bejahten supranaturalistischen Metaphysik“27. So hatte er weit bessere Kontakte zu Kollegen anderen Fakultäten wie dem Altphilologen Wolf, der seine Plato-Interpretation zu schätzen lernte, und ihn bei einem Besuch Goethes in Halle mit diesem bekanntmachte (er gewann aber keinen näheren Zugang zu ihm). Er zog vielfach mehr Hörer aus anderen Disziplinen an als angehende Theologen, ein Hinweis auf das herausragende Reflexionsniveau ebenso wie seine Darstellungskunst.

Eine enge Freundschaft entstand mit dem Naturphilosophen Hendrik Steffens, einem Schüler Schellings, den wir am Ende seines Lebens in Berlin wieder antreffen werden. Sein philosophisches System der Natur, so Dilthey einmal, entspricht bei Schleiermacher dem der „Physik“. Dem steht das der „Ethik“ gegenüber, beide grundiert durch eine philosophische Grundwissenschaft, von ihm genannt „Dialektik“, als Lehre vom Denken in Begriffen und Schlussfolgerungen. Die Grundlinien dieser philosophischen Systematik insgesamt und der philosophischen Ethik im Besonderen, zuerst niedergelegt im Brouillon zur Ethik (1805/06)28, sind hier entstanden. Er baute sie später in Berliner Vorlesungen aus, wofür eine geschlossene Niederschrift jedoch nicht vorliegt. Zu seiner Lehrart heisst es: „Er fertigte zunächst einen Gesamtplan für die Vorlesung an und hatte für die einzelne Kollegstunde nur einige Notizen und Stichworte zur Verfügung. Er liess seinem Gedankenfluss freien Lauf, und so waren seine Vorlesungen ein kunstvolles und sehr geistreiches Selbstgespräch, das seine Hörer wohl in den Bann zog und begeisterte, ihnen aber das Folgen und vor allem das Mitschreiben erschwerte.“ Und der Publizist Ludwig Börne, der ihn hörte, bemerkte: „ Er lehrte die Theologie wie Sokrates gelehrt hätte, wenn er Christ gewesen wäre“.29

Hoch bedeutsam ist seine Verstehenslehre, die Hermeneutik, die er ebenfalls als philosophische Disziplin behandelt, womit er auch theologisch den Supranaturalismus in der Exegese – die hermeneutica sacra mit der Annahme einer Verbalinspiration des Gesamtcorpus der Hl. Schrift – hinter sich liess und die sowohl sprach-strukturelle wie die individuell-psychologische Seite von Texten ins Verhältnis setz30. Dies Sensibilität gestattete ihm auch den erstmaligen Nachweis der „Unechtheit“ (im Sinne der Nichtautorschaft des Paulus) der diesem zugeschriebenen Timotheus-Briefe.

Noch ist aus Halle Bedeutsames zu erwähnen: eine Dichtung. Auch zu dem Komponisten Reichardt im Vorort Giebichenstein (wo die „Burg“ später zur Kunstschule wurde) hatte er freundschaftlichen Kontakt gewonnen und dort Gastlichkeit genossen. Diese regte ihn an zu einer kunstvoll gestalteten Novelle (das Platonische Symposion mag ihm vor Augen gestanden haben) Die Weihnachtsfeier, Ende 1805 in wenigen Wochen niedergeschrieben und 1806, nun auch unter seinem Namen, veröffentlicht31. Ein Freundeskreis, Paare darunter, bespricht die Bedeutung dieses Festes in Dialogen der Frauen und Männer, die das Ereignis der Christgeburt sowohl „mariologisch“ als der Feier des Lebens im Blick auf die Mutter Maria („jede Mutter ist eine Maria“) wie christologisch in unterschiedlichen Ansichten erörtern. Neben einem puren Rationalisten und einem „Schellingianer“32 (der sich einzig auf Joh. 1,14 beruft) kommt die dritte der christologischen Deutungen wohl Schleiermacher selber am nächsten: „Für uns, die wir dem Wechsel der Zeit zwar auch unterwerfen sind, aber nicht im Vergänglichen zu leben begehren, bleibt die Geburt des Erlösers das einzige allgemeine Freudenfest, weil es für uns kein anderes Prinzip der Freude gibt als die Erlösung, in der Entwickelung von dieser wiederum die Geburt des göttlichen Kindes der erste helle Punkt ist, nach dem wir kein anderes erwarten und unsere Freude nicht länger verschieben können“. „Vielleicht hat Schleiermacher das Gespräch mit den philosophisch-religiösen Tendenzen seiner Zeit in der Weihnachtsfeier noch differenzierter geführt als in den Reden“33. Schliesslich endet alles durch den Besuch eines „Herrnhuters“ in der sprachlosen Feier der Musik. Zugleich pocht der Tod an der Tür. Schon hatte eine der Frauen einen gefallenen Sohn zu beklagen gehabt: das kriegerische Anrücken Napoleons, der – nur ein paar Monate später – am 16. Oktober 1806, Halle besetzt haben wird. Die Universität, Zentrum des antinapoleonischen Widerstands, wird einen Tag danach geschlossen.

VI Patriot und Demokrat, Universitätsgründung, Predigtamt

Schleiermacher, der in Halle zunächst weiterhin predigt, geht 1807 nach Berlin zurück ohne eine Anstellung. Er schliesst sich den patriotischen Bestrebungen an. Er hält öffentliche Vorlesungen. Das geht mit einer Entwicklung seiner Ethik zusammen. „Im Anfang seiner ethischen Gedanken stand die Idee der Individualität im Vordergrund. Aus der Idee der Individualität wurde nun das moralische Selbst, das seine Freiheit im Dienst für Volk und Staat betätigte … Ferner wird die Idee der Individualität auf das geschichtliche Werdewesen Volk als eine Sozialindividualität angewandt“34. Solcher Sozialindividualitäten bedient sich der Herr der Geschichte, in der die Menschheit nicht mehr nur Gegenstand ästhetischer Anschauung und harmonischer Entwicklung, sondern Ort göttlichen Handelns durch Katastrophen und Leiden hindurch ist. Das fromme Selbstbewusstsein ist nun aufgerufen, aus der blossen Passivität des Empfindens heraus- und in die aktive Bewahrung und Gestaltung des Gemeinwesens ein-zutreten.

Das drückt sich seit Halle in seinen Predigten aus. „Berlin ward durch ihn wie umgewandelt“, berichtete Steffens, „sein mächtiger, frischer, stets fröhlicher Geist war einem kühnen Heere gleich in trübster Zeit“. Später wird er in Vorlesungen zur christlichen Sitte auch die Grenze dieser Sicht aufweisen: „Wo die Volkseinheit der letzte Beziehungspunkt ist, da ist auch nichts als Eigenliebe, also keine Sittlichkeit“. Er nahm aktiv an den Bemühungen um eine antinapoleonische Erhebung teil, so 1808 an einem Komitée, das in den preussischen Provinzen agitierte, wobei er zusammen mit andern nach Königsberg reiste, wohin die Königsfamilie aus Berlin geflohen war. Dort traf er den Kopf der Reformer, den Freiherrn von Stein und die Generäle Gneisenau und Scharnhorst. Er wurde von Königin Luise, die diesem Kreis nahestand, in Privataudienz empfangen.

Steins Nachfolger als Innenminister wurde der ihm aus Schlobitten befreundete Dohna-Sohn Alexander. Dieser berief ihn zum Direktor der wissenschaftlichen Deputation und zum Mitglied der Unterrichtssektion, wo er Gutachten zur Neugestaltung des Schulwesens gab. Aus dieser Funktion wurde er 1814 von Gegnern der Stein’schen Reformpläne herausgedrängt, da er auf deren Umsetzung bestand. Dies hing auch mit der Einlösung des Versprechens des Königs zusammen, der die Gewährung einer Verfassung und eines Parlaments zugesagt hatte. Kurz vor dem Sieg über Napoleon im Oktober 1813 hatte sich der Konflikt mit ihm noch zugespitzt, als er vorübergehend für die von dem Gelehrten Niebuhr gegründete Zeitung Der preussische Korrespondent schrieb und vor einem vorzeitigen Friedensschluss mit Napoleon warnte. Es brachte ihm durch den Minister Hardenberg eine königliche Missbilligung ein, und noch einen weiteren Verweis – worüber er sich nur moquierte. 1814 nutzte man eine Gelegenheit, ihn aus dem Beamtendienst zu entlassen35. Nach dem Sieg über Napoleon ging der Kampf der Behörde gegen ihn jedoch weiter. Ein Jurist, Geheimrat Schmalz, denunzierte die Reformer mit Unterstellungen, den Aufstand zu betreiben. Schleiermacher konterte ihm, er bezeichne wohl die, die die Verfassung einfordern, als Revolutionäre? Als Schmalz auch noch den preussischen Adlerorden, und gar in zweifacher Ausfertigung, erhielt, bemerkte er mit scharfer Ironie: „Wo das Aas ist, sammeln sich die Geyer“ (Matth. 24, 28/Lk. 17,37).

Zu der seit der Schliessung Halles angedachten Gründung einer Universität in Berlin legt er, neben und vielfach gegen Fichte, einen wesentlichen Beitrag vor durch sein Memorandum von 1808 Gelegentliche Gedanken über Universitäten in deutschem Sinne. Die Universität wurde 1809 durch Humboldt als Leiter der Sektion für Kultus und Unterricht vorbereitet und 1810 begründet, wobei er zu einem seiner engsten Mitarbeiter wurde. „Die Gedanken aus der Programmschrift Schleiermachers wurden von Humboldt aufgenommen und in seiner eigenen Denkschrift verwertet“36. Es geht nicht um eine höhere Fachschule, sondern „Die Gesamtheit der Erkenntnis soll dargestellt werden indem man die Prinzipien und gleichsam den Grundriss alles Wissens auf solche Art zur Anschauung bringt, dass daraus die Fähigkeit entsteht, sich in jedes Gebiet des Wissens hineinzuarbeiten“. 37 Somit ist die bedeutsame Stellung der Philosophie als einer Art Grundwissenschaft klargestellt. Auch der Gedanke der Verbindung von Forschung und Lehre wurde von Schleiermacher ent- und übernommen. Und auch die Forderung der Unabhängigkeit der Universität gegenüber dem Staat, dem nur zusteht, die äussere Organisation zu ermöglichen – und aus der Freiheit der Universität, wie er meinte, mittelbar die beste Unterstützung erhält.

VII Predigtamt und Universität: Theologie, Akademie, Philosophie

Im Jahre 1808 verlobte er sich mit Henriette von Willich, der Witwe eines im Jahr zuvor verstorbenen guten Freundes. Er hatte jenes Paar bei dessen Trauung 1804 zusammen mit Henriette Herz besucht und war ihm herzlich verbunden gewesen. Er hatte noch die Geburt des Sohnes begrüßt, der nun mit in die neue Familie aufgenommen wurde. 1809 wird er zum Prediger an der Dreifaltigkeitskirche berufen, und hiernach erfolgte auch die Heirat. Aus der Ehe gingen drei Töchter und der Sohn Nathanael hervor, dessen früher Tod im Jahre 1829 ihm ungemein schmerzlich war38.

An der Dreifaltigkeitskirche (heute eine Kirche für die Gehörlosenseelsorge) war er als reformierter neben einem lutherischen Prediger tätig (es ist eine sog. „Simultankirche“). An ihr predigte er bis zu seinem Lebensende beinahe sonntäglich neben allen anderen, auch katechetischen Aufgaben. Unter den zahlreichen Konfirmanden war auch der junge Bismarck. Er bewältigte das zusätzlich zu seiner umfangreichen akademischen und publizistischen Tätigkeit. Dabei war er durchaus zur Geselligkeit aufgelegt, in Familie und in Freundeskreisen39. Es ist zu reden von einem unglaublichen Lebenswerk. Und man möchte sein Leben als eine Art „Gesamtkunstwerk“ ansehen – wenn er den Begriff der „Kunst“ hier nicht selber ausgeschlossen hätte40.

Bezüglich der neuen Universität hatte er schon als Mitglied der Organisationskommission wesentlichen Einfluss, da er den Innenminister, seinen Freund Alexander von Dohna, beriet. So konnte er die Selbstverwaltungsstruktur der Universität in ihren vier Fakultäten begründen, die er gegen Fichte, der dann erster Rektor wurde, durchsetzte (der wollte die Theologie abschaffen), und auch an den Stellenbesetzungen konnte er mitwirken. Auch versuchte er, alle Veröffentlichungen der Universität der Zensur zu entnehmen („ womit er nur teilweise Erfolg hatte“)41.

Auch die Theologische Fakultät gehörte zu seinem Aufgabenbereich. Er legte der Kommission eine Denkschrift über die Errichtung einer solchen Fakultät vor mit der überkommenen Vierteilung: exegetische, historische, dogmatische und praktische Theologie. Doch hier sollte die letztere erstmals der leitende Gesichtspunkt der Theologie werden, wie er in seiner zukunftsweisenden Kurzen Darstellung des theologischen Studiums zum Behuf einleitender Vorlesungen entworfen (1810) darlegt.42 Auch war er sogleich der erste und dann wiederholt Dekan der Theologischen Fakultät, 1815-1816 auch Rektor der Universität (seit 1818 – da war er 50Jahr alt – lehnte er Verwaltungsämter ab). Die Orientierung der Theologie auf Praxis hin wird deutlich, wenn es heisst: „Die christliche Theologie ist der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d. h. ein Kirchenregiment nicht möglich ist“ (K. D. § 5). „Kirchenregiment“ meint: die Predigt! Aufgabe ist „Die Idee des Christentums nach der eigentümlichen Auffassung der evangelischen Kirche in ihr immer reiner zur Darstellung zu bringen und immer mehr Kräfte für sie zu gewinnen“(K.D. § 313).

Da er zugleich „Sekretar“ der Akademie war, konnte er, und er tat es, auch Vorlesungen in der philosophischen Fakultät halten. So las er im Sommer von 6h – 7h Philosophie, von 7h – 9h Theologie, fünfmal die Woche. In der Theologie behandelte er alle Fächer ausser dem Alten Testament abwechselnd. In der Philosophie behandelte er die „Dialektik“. Das ist seine Darstellung der philosophischen Grundwissenschaft unter Verzicht auf den Ausgang von einem gedachten „absoluten“ Wissen wie bei Fichte, Schelling und Hegel – so dass hier der Gottesbegriff nicht „bewiesen“ oder auch nur „geschaut“ wird, sondern (anders als in der Theologie) „nur“ als Grenzgedanke auftritt. „Dialektik“, die wissenschaftliche Grunddisziplin, ist ihm, in sokratischer Tradition! – und in deutlicher Unterscheidung von der Hegelschen Dialektik-Konzeption – „die Kunst der Gesprächsführung43.

Die philosophischen Vorlesungen (zumeist nur in Nachschriften, und auch diese nur teilweise veröffentlicht44) bzw. die tatsächlich zum Druck gebrachten Schriften (als philosophische eigentlich nur die frühe Kritik der Sittenlehre von 1803, die er damals sogleich veröffentlicht hatte) umfassen neben der schon in Halle in einem ersten „Brouillon“ (Entwurf) skizzierten:

  • philosophische Ethik, in der er die notwendige Verbindung der drei Kategorien Pflicht, Tugend, höchstes Gut bzw. Gemeinwohl aufweist:

  • Psychologie (Aufweis der Polarität von Rezeptivität und Spontaneität),

  • Pädagogik (einerseits: „Abliefern an die sittlichen Lebensgemeinschaften“ – andererseits „Ausprägung der persönlichen Eigentümlichkeit“ – er war hier auch ein neuer Comenius !); er verband so die Polarität von bewahrendem, „konservativem“ Element, eher der älteren, mit dem notwendigen „revolutionären“ Element, eher der jungen Generation durch das Verhältnis der Generationen zueinander45;

  • Aesthetik (besonders in Akademievorträgen entwickelt, worin sich bereits der später von Beuys aufgegriffene Gedanke „alle Menschen sind Künstler“ im Ansatz findet!)46 und

  • Hermeneutik. Durch diese letztere ist er geradezu zum Begründer einer neuen Verstehenswissenschaft geworden, wie sie besonders von seinem philosophischen Nachfolger und Biographen Wilhelm Dilthey47 weiterentwickelt wurde und für die neueren Lebens- und Geisteswissenschaften wegweisend wurde bis hin zur keineswegs überholten philosophischen Hermeneutik des vergangenen Jahrhunderts bei Heidegger und Gadamer.48

VIII Sein Hauptwerk: Der christliche Glaube. Dazu: Die Christliche Sitte

Massgeblich für eine neue Auffassung der Theologie von Grund auf wurde seine Glaubenslehre (1821-1822), sein Hauptwerk: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt49. Man spricht davon, dass ihr an Geschlossenheit der Konzeption nur Calvins reformations-dogmatisches Werk Institutio50 zu vergleichen sei.

Ich erwähne gleich hier, dass der Glaubenslehre entspricht seine Lehre von der Christlichen Sitte – welche, wie die vom christlichen Glauben – keine prae-skriptive, vor-schreibende, sondern eine de-skriptive, be-schreibende Darstellung ist. Das ist eine absolute Neuerung! Glaube wie Ethos folgen nicht einem Gebot sondern dem geistlichen Impuls und werden als solche sowohl „dar-gestellt“ wie zur „Reizung“ „ver-mittelt“ (s. u. ).

Redeker spricht im Blick auf die Glaubenslehre von einer Entwicklung Schleiermachers vom Ausgang aus der „Intuition“ in der Frühzeit, wie in den Reden und den Monologen über eine Phase der stärkeren Spekulation in Parallele zu Schelling wie dies noch in der Weihnachtsfeier bei einem der Redner erkennbar ist, zu einer erneuten Orientierung an der gelebten und erfahrenen Christusgemeinschaft in der Gemeinde, parallel zu Zinzendorfs Herrnhutischer Gemeindeauffassung. Theologie ist nicht spekulative, sondern „positive“ Wissenschaft, und das meint: sie orientiert sich am konkret gegebenen geschichtlichen Glauben der Gemeinde. Die Lehrsätze der Dogmatik sind nicht aus der Philosophie zu begründen, sondern sie sind nichts anderes als „zerlegende Betrachtung der ursprünglichen frommen Gemütszustände“ (GL § 2) – eine ohne Zweifel uns irritierende Formulierung. Gemeint sind solche „Gemütszustände“, „die von der echten und unverfälschten Stiftung Christi ausgehen“, nämlich der durch ihn gestiftete und in der Geschichte konkret in der Kirche weitergelebte und weitergegebene, in den frommen „Gemütszuständen“ uns heute gegebene Glaube. Gemüt meint den Ort des Gefühls als unmittelbares Selbstbewusstsein. Doch ist dieses nicht psychologistisch misszuverstehen, sondern zu verstehen als „ein transsubjektiver Sachverhalt“, als die „Bestimmtheit des unmittelbaren Selbstbewusstseins durch Gott“51.

Diese Ansicht führt zu einer dreifachen Aufgabe in der Theologie. Überraschend wird das Gesamt von Exegese, Kirchengeschichte und auch Dogmatik dem Gebiete der historischen Theologie zugeordnet – das war revolutionär! Diese liefert zunächst nur den „Stoff“ der Theologie, die nun die eigentliche, von ihm “philosophisch“, besser vielleicht: „systematisch“ genannte Aufgabe erhält (da Glaube von keiner Philosophie abhängt!), „zu einem Ausdruck des christlichen Glaubens zu verhelfen, der seinem wahren Wesen entspricht“52. Das bedeutet, dass selbst die Hl. Schrift und dann auch die Bekenntnisse nicht selber Norm sind, der man gehorchen müsste, sondern was sie ja in der Tat sind, Glaubens-Zeugnisse, wie die Dokumente der Kirchengeschichte und Dogmatik auch, welche Glauben erweisen und zum Glauben reizen. In der eigentlich dogmatisch-theologischen bzw. in seiner Begrifflichkeit philosophischen Aufgabe der Theologie als Selbstreflexion liegt es aber, zwischen der konkreten,. geschichtlichen „Erscheinung“ und ihrer „Idee“ zu unterscheiden – wie in jeder Sache, so auch des Glaubensbewusstseins – und so auf die immer „reinere“ Darstellung des Glaubens – der Idee in der Erscheinung – zu drängen. Hierin liegt ein Erbe der Transzendentalphilosophie, das er mit Kant und den philosophischen Zeitgenossen teilt. Das Gesamt der Theologie wird aber, wie in der Kurzen Darstellung zum Theologiestudium von 1811 ausgeführt, von der praktischen Theologie aus strukturiert, der Frage nach dem, was zur wissenschaftlich verantworteten „Kirchenleitung“ erforderlich ist.

Dabei erfordert die Darstellung des Glaubens in der so verstandenen Dogmatik die Darstellung ihrer organischen Ganzheit, die aus der Christusoffenbarung und der Christuserfahrung in der Lebensgemeinschaft mit ihm (in der Kirche) hervorgeht. In dieser liegt aber der Gegensatz von Sünde und Gnade, also das Wissen um die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. So ist mit der Christologie und der christlichen Erlösungserfahrung sowie der Darstellung dessen, was damit zusammenhängt, der Kern der Glaubenslehre gegeben, der in ihrem Teil II dargestellt wird. Hier werden alle Glaubensartikel aus dem christlichen Bewusstsein, wie es bei uns besteht, abgeleitet: aus der Erfahrung des Hl. Geistes (3. Glaubensartikel), der sich uns aus dem vollkommenen Gottesbewusstsein Christi (2. Glaubensartikel) herleitet, in dem die Gegenwart Gottes (1. Glaubensartikel) gesetzt ist. Dem geht ein Teil I voraus, der die allgemeine Gotteserfahrung analysiert. Er betrifft den ersten Glaubensartikel, sofern er von der Schöpfung und Kreatürlichkeit des Menschen handelt und für jeden Menschen seine „schlechthinige“ Abhängigkeit von Gott voraussetzt. Schleiermacher meint die Schöpfungslehre aber nicht ohne inneren Bezug zur Christologie, zu Teil II, denn er sagt einmal ausdrücklich, es gebe „keine christlosen frommen Momente“53 im Christenglauben und er hätte das Ganze auch in der anderen Reihenfolge darstellen können.

In einer ausführlichen Einleitung („Lehnsätze“) wird über die Unvermeidbarkeit philosophisch reflektierter Sprache gehandelt, ohne dass die Theologie sich einer bestimmten Philosophie unterwerfen dürfe. Er selbst schliesst sich an die Kantische Transzendentalphilosophie an – die die alte Metaphysik in ihren verschiedenen Gestalten hinter sich lässt – womit auch „Gott“ nicht länger gegenständlich gedacht werden kann. Theologisch ist aber von Gott zu reden, und zwar vom Menschen her, der durch „das schlechthinige Abhängigkeitsgefühl von Gott“ markiert ist – einer berühmten Formulierung, mit der er, wie er selber erwähnt, einen bei einem zeitgenössischen Autor Delbrück von Schleiermacher gefundenen Begriff aufgreift54. Diese Formulierung wurde, möglicherweise in bewusstem Missverstand, von Hegel, dem Inhaber des Philosophie-Lehrstuhls, der zu Schleiermacher ob seiner Staatskritik seit 1822 in politische Kontroverse gegangen war, bissig kommentiert: somit wäre „der Hund der beste Christ“. Dabei erwächst bei Schleiermacher gerade aus diesem einzig-artigen „schlechthinigen“ Abhängigkeitsbewusstsein nur von Gott gerade das – gewiss einem Hund, in gewisser Weise aber auch Hegel’s Geist-Absolutismus fremde – spezifisch menschliche Freiheitsbewusstsein55 gegenüber der Welt.

Dieses Freiheitsbewusstsein erweist sich in der Christlichen Sitte56, die Schleiermacher, wie oben bemerkt, als den Bereich des Handelns, also als die christliche Ethik, die aus dem Glaubensbewusstsein fliesst, ebenfalls be-schreibend darstellt. Ert beschreibt es, kurz angedeutet, als einerseits „reinigendes“ wie als andererseits „wiederherstellendes“ Handeln.Dies gilt sowohl in der Kirche selber wie in der Gesellschaft bzw. im Staate. Hier finden sich bedeutende Hinsichten auf die Praxis des christlichen Glaubens im Gottesdienst als „Darstellendes Handeln“ – hier wiederum im Gottesdienst im „engeren“ (inner-kirchlichen) wie im „weiteren“ (weltlich-gesellschaftlichen) Sinn. Im Bereich „Gottesdienst im engeren Sinne“ sind auch Elemente der in „technischer“ Hinsicht „Praktischen Theologie“ zu finden, wie eine Theorie des menschlichen Spiels, an den sich die Gottesdiensttheorie anschliesst, in der auch die Frage gestellt wird, „wie jeder seine rechte Stelle in der gottesdienstlichen Thätigkeit finden solle“57. Ebenso finden sich hier bemerkenswerte Ausführungen zur „allgemein geselligen Sphäre“ und zu einer Theorie des Festes und der Kunst.

IX Union der Protestanten – doch ohne Kirchenreform?58

Schon in seiner Zeit als Prediger in Stolp / Sɫupsk schlug er, als reformierter Prediger, das Zusammengehen der bis dahin – ob der seit der Reformationszeit weiter überlieferten Streitfragen in einzelnen Lehrpunkten – streng gesonderten Gemeinden der Lutheraner und Reformierten zum Gottesdienst vor. Er hatte diesen Vorschlag damals in einem „Unvorgreiflichen Gutachten“ seinem Kirchendirektorium unterbreitet. Somit hat er schon damals die verschiedenen Bestrebungen unterstützt, diese beiden protestantischen Traditionen zusammenzuführen. Beim Antritt seiner Predigtstelle in der Charité in Berlin verständigte er sich sogleich mit dem lutherischen Kollegen über Zusammenarbeit in Gottesdienst und Seelsorge.

Und als man auf das Jahr 1817 mit seiner 300-Jahr-Erinnerung an die Veröffentlichung der Thesen Martin Luthers gegen die Ablässe zuging, was als Beginn der reformatorischen Bewegung gilt, förderte er solche Bestrebungen des Königs, Friedrich Wilhelm III., der als Landesherr auch die Funktion des (weltlichen) Kirchenoberhaupts einnahm59. Und so kam es am Reformationsgedenktag, 31. Oktober 1817, zur Zusammenkunft der Berliner Geistlichen beider Konfession zur ersten gemeinsamen Feier des Hl. Abendmahls. Vorausging, am Altar der Berliner Nikolaikirche, ein symbolischer Versöhnungs-Handschlag der Hauptzelebranten, Pfarrer Prof. Schleiermachers mit dem lutherischen Kollegen, Pfarrer Prof. Marheineke (seinerseits ein Schüler Hegels).

Im Folgenden kam es aber zu Konflikten Schleiermachers mit dem König, da dieser verschiedene seiner Versprechen nicht einhielt. So hatte er, als König, selber eine Gottesdienst-Agende entworfen, welche liturgische Traditionen beider Kirchen verband, zunächst bestimmt für die Hof- und Militärgemeinden in Berlin und Potsdam und als Vorschlag, der von den Gemeinden freiwillig übernommen werden könne60. Gleichwohl übte er später landesherrlichen Zwang aus, welcher Gemeinden, die dieses nicht akzeptieren wollten, zur Separation von der entstehenden gemeinsamen Landeskirche veranlasste (sog. „alt-lutherische“ Kirche, besonders stark war diese Bewegung in Schlesien). Als ihm hier wiederum sein – in Hegelscher Sichtweise staatsnaher – Kollege Marheineke widersprach, bemerkte er: „Lutherisch ist nicht, dass der Hof die Kirche regiere und die Geistlichen als Unterbeamte kommandiere …“. Gerade hier berief er sich auf Luther, der solche Unterscheidung in seiner später sog. „Zwei-Reiche-Lehre“ ausdrücklich gefordert hatte61.

Das Prinzip Schleiermachers war: in der Verkündigung des Evangeliums muss Eintracht herrschen – und das hatte man zu dieser Zeit zwischen Reformierten und Lutheranern im Kern bereits erreicht62. Dann aber gilt, dass die Verschiedenheit des Gebrauchs der Liturgie (mit in ihnen vertretenen unterschiedlichen Gebetstraditionen) nicht die Gemeinschaft der Kirche aufhebt – ein wegweisender Gedanke auch für heutige Debatten, vom Wortgottesdienst bis zur Feier der Sakramente.

Parallel ging es aber immer auch um die Frage nach einer Neugestaltung der Kirche von innen her – einer Kirchenreform im eigentlichen Sinn. Hierfür war erforderlich die Schaffung einer Kirchenverfassung, die den Gemeinden erlaubte, sich durch Synoden selbst zu verwalten. Dieses wurde entgegen früheren Zusagen vom König ebenso verhindert, wie auf der politischen Ebene die versprochene Verfassung, die eine konstitutionelle Monarchie zum Ziel gehabt hätte. Wie erwähnt wurden diejenigen, die das einforderten, quasi als „Revolutionäre“ bekämpft63. So musste sich Schleiermacher über den König enttäuscht zeigen. Erst im Konflikt mit den Breslauer Separatisten wurde er von diesem wieder einbezogen mit der Bitte um Vermittlung. Tatsächlich war Schleiermachers Kirchenkonzeption – im Unterschied zu der der „Hegelianer“ – nahe an der Vorstellung einer staats-freien „Freikirche“ – ein Konzept, das nach den Katastrophen der staatsnahen, einander wechselseitig aus politischer Motivation bekämpfenden Kirchen in zwei Weltkriegen und den mörderischen Diktaturen des 20.Jahrhunderts nach wie vor zur Debatte steht.

X Kritik und Würdigung, historisch und ökumenisch

Es kann hier nur auf Weniges in der Rezeptionsgeschichte verwiesen werden. So hat sich im 19. Jh. erwiesen, dass die Schüler Schleiermachers und die Pfarrer in seiner Linie es waren, die die soziale Komponente der kirchlichen Arbeit in hohem Masse förderten und also die hier entstehenden Probleme früh erkannten. Gegner zu ihm entstanden ihm in rigidem Kirchenleitungsdenken aus Hegel’scher Denkweise wie in der Bewegung der Re-Konfesssionalisierung, wie durch den agitationsbereiten jüngeren Theologie-Professor Hengstenberg – worauf Schleiermacher souverän reagierte mit dem Vermerk: Gegner kenne er nicht. Wo es um Aufgaben der Wissenschaft gehe, kenne er nur Mitarbeiter; als Schriftsteller aber könne man ihn mögen oder auch nicht.

Auf die Phase höchster Anerkennung an seinem Lebensende (bis hin nach England und Skandinavien) und in der zweiten Jahrhunderthälfte, wie sie durch Diltheys fundierte Würdigung ausgelöst wurde, und in der Rezeption um die Jahrhundertwende etwa durch den Religionswissenschaftler Rudolf Otto ihren Höhepunkt erlebte, folgte nach dem 1. Weltkrieg u. a. durch den Schweizer Theologen Karl Barth eine Fundamentalkritik, in der er seine wieder an der überlieferten Tradition orientierte Dogmatik-Darstellung dem von ihm als „kulturprotestantisch“ kritisierten Weg Schleiermachers, welcher Religion und Kultur in Einklang zu bringen versucht. gegenüberstellte. Andererseits hat die aus der Arbeit an der historisch-kritischen Exegese hervorgegangene theologische Schule Rudolf Bultmanns – auc h er ein Vertreter er „dialektischen“ „Theologie des Wortes“ – ausdrücklich an Schleiermachers Ansatz bei der Verstehens-Möglichkeit des Menschen angesetzt, wie auch bedeutende theologische Systematiker wie, evangelisch, Paul Tillich und Gerhrd Ebeling, oder, r.-katholisch, Karl Rahner und Gotthold Hasenhüttl. Kaum ist heute eine Theologie denkbar, die sich nicht mit Schleiermachers Erbe auseinandersetzen würde. Erst recht, wenn es um das Verstehen allgemein von „Religion“, näherhin von „Frömmigkeit“ geht, bis hin zur Liturgie-Gestaltung. Hierzu sei exemplarisch auf die grosse Liturgik von Rainer V0lp verwiesen, die aus dem Geiste der Praktischen Theologie Schleiermachers ein semiotisch durchdachtes zeitgemässes Angebot entwickelt64.

Erwähnt wurde bereits, wie Schleiermacher schon in den RedenÜber die Religion“ (und gerade hier zählt heute ebenfalls der Appell gerade „An die Gebildeten unter ihren Verächtern“)65 Brücken schlägt, die – seit zweihundert Jahren! – offenstehen und einladen, sie im Gespräch mit den Vertretern anderer Religion-en zu betreten. Erst recht gilt dies, m. E., auch für das inter-konfessionelle Gespräch zwischen den Kirchen66. Das zeigt sich bereits in der erwähnten parallelen Bemühung der beiden Zeitgenossen, Schleiermachers auf evangelischer Seite, Sebastian Dreys sowie seines Nachfolgers Johann Adam Möhlers auf r.-kath. Seite (der sog. damaligen „Tübinger Schule“), bereits vor zweihundert Jahren, zu einer systemgemässen Auffassung der divergierenden Einzellehren zu gelangen. Und wenn Schleiermacher als offenbaren Eindruck feststellt und darin die hauptsächliche Differenz zwischen den beiden Kirchen Roms und der Reformation festmacht: bei der r.-kath. Kirche entstehe die Verbindung der Gläubigen zu Christus durch die Kirche, bei der evangelischen die Verbindung zur Kirche durch Christus – so sind beide Sätze notwendig zu relativieren. Sie haben ja je nur zur Hälfte recht. Hat doch gerade Schleiermacher auf evangelischen Seite die Kirche direkt auf das Gottesbewusstsein Christi zurückgeführt, da sie an ihm durch den Heiligen Geist teilhat – so dürfte die r.-kath. Kirche ebenso anerkennen, dass auch sie durch den Heiligen Geist an nichts anderem als an Christus teilhat – und somit dieser beide richtet und aufrichtet. Er ist und bleibt beider Kriterium – uns vermittelt im Hl. Geist.

Karl Barth, nachdem er sich dreimal im Laufe seines Lebens als akademischer Lehrer mit Schleiermacher kritisch auseinandergesetzt hatte, hat schliesslich als Letztes noch die Frage an ihn gestellt: ob er etwa als Theologe des Dritten Glaubensartikels zu verstehen sei?67 Dann könne er ihn vielleicht doch noch richtig verstehen! Und in der Tat: eben da setzt ja Schleiermacher mit seiner Dogmatik an: in seiner Lehre vom christlichen Glauben. Eben dieser ist, nach dem Bekenntnis aller Kirchen im dritten Glaubensartikel, das Werk des Hl. Geistes – an uns und von uns zu verantworten. Wir meinen, dass Karl Barth hierin die entscheidende Deutung von Schleiermachers Werk getroffen hat. Er mag das Fragezeichen hinter seiner Frage getrost streichen. Denn, so meinen wir, Schleiermacher hat die zentrale theologische Frage auch des dritten Jahrtausends, unserer eigenen Zeit, vorweggenommen: die nach unserer eigenen Verantwortung für unser Bekenntnis Gottes in unserem christlichen Glauben und in unserem Leben in der Kirche – und in und angesichts dieser unserer Welt, von der uns keine noch so ernsthafte Berufung auf die Tradition entbinden kann.

Bibliographische Hinweise:

Neben älteren, z. T. Neu edierten Einzelausgaben und der von 1834-1864 erfolgten Werkausgabe Friedrich Schleiermacher’s Sämtliche Werke, Hg. von L. Jonas, H. Schweizer u. a. , oftmals nur nach Vorlesungs-Nachschriften der Hörer, wird verwiesen auf die seit 1980 im Erscheinen begriffene Kritische Gesamtausgabe (KGA), die in fünf Abteilungen das Gesamtwerk samt Briefen und Korrespondenzen bereits weitgehend neu zugänglich gemacht hat (begleitet durch Sekundärliteratur im Schleiermacher-Archiv). Ergänzend zu Schleiermachers Texten sind hier beigezogen u. a. die beiden Kurzbiographien von Martin Redeker, Friedrich Schleiermacher, 1968, und Friedrich Wilhelm Kantzenbach, Schleiermacher, 1977 wozu noch Kurt Nowaks eingehende Darstellung, 2004, hinzuzunehmen ist.

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Manfred Richter,
manfred-richter-berlin.de
richter_kunstdienst@web.de

1 Massgeblich für sein Verständnis sein Leben Schleiermachers. 1870 I und II. Aus dem Verständnis und Geist Schleiermachers heraus wurde er zum Begründer einer vertieften Lehre vom Verstehen der menschlichen Lebensäusserungen, der neueren geisteswissenschaftlichen Hermeneutik. Neuausgabe Martin Redeker 1966
2 Kritische Gesamtausgabe (KGA) hg. von J. Birkner u. a. im Verlag de Gruyter, Nachfolgeverlag des ursprünglichen Verlags der Schleiermacher-Werke Reimer. Der in Kiel bearbeitete Teil ist mit 2017 abgeschlossen, was für den in Berlin auf 2025 berechnet ist. – Die persönlichen Äusserungen wie in Briefen (die in der Romantik auch als Kunstform gehandhabt wurden) in KGA V Bd. 1-14 (!) sowie Kommentarband K1
3 Nikolaus Ludwig Reichsgraf von Zinzendorf, 1700-1760
4 Jan Amos Komenský gen. Comenius. Umfangreiche Biographie von Milada Blekastad, 1969. – Für die Schwerpunkte seiner Zeit in Polen vgl. als neuere Untersuchung vom Verf. Johann Amos Comenius und das Colloquium Charitativum von Thorn 1645. Ein Beitrag zum Ökumenismus, 2013, sowie als Kurzbiographie Jan Amos Komenski. Zarys zycia i działalności, 2016
5 Dort war auch ein Teil des Nachlasses von Comenius und so der böhmischen Brüderkirche zum Druck gelangt, ein weiterer aufbewahrt und erst im vergangenen Jahrhundert neu entdeckt worden.
6 Zu Jablonski, dem Vermittler von Comenius und Leibniz vgl H. J. Bahlcke und W. Korthaase (Hg.), Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700 (Jabloniana 1), 2008
7 Persönliche Zitate aus der Biographie von Friedrich Wilhelm Kanzenbach, Schleiermacher 1977
8 In Auseinandersetzung mit dem Philosophen Fries, der meinte, zwar „mit dem Herzen Christ „zu sein, aber meinte, es „mit dem Kopf“ nicht zu können.
9 Zu dieser Problematik vgl. jüngst die Studie des r.-kath. Autors Michael Seewald, Dogma im Wandel. 2018. Er verweist darauf, dass Thomas von Aquin die verschiedenen „Dogmen“ der Glaubenslehre als „articuli“ („Gelenke“) eines Gesamtkörpers der Lehrdarstellung verstehen will. Hier auch der Verweis auf die erstmalige Aufnahme des Versuches einer theologischen System-Bildung im engeren Sinne auch bei dem r.-kath. Theologen Sebastian Drey, einem Zeitgenossen von Friedrich Schleiermacher, der durch ihn dazu angeregt war.
10 1725-1791, Prof. in Halle, der die historisch-kritische Schriftauslegung und Sicht auf die Kirchengeschichte und Dogmenentwicklung förderte – er lehrte dort noch gleichzeitig mit dem Studenten Schleiermacher.
11 Seine Kritik der reinen Vernunft, betrachtet als „die kopernikanische Wende“ in der Geschichte der Metaphysik, war 1781 erschienen.
12 Jüngel, Eberhard: Art. Schleiermacher, Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) 4. Aufl. Bd. 7 2004 Sp. 905
13 Klaus Huizing spekuliert zu alledem und zum Umfeld in seinem Roman Frau Jette Herz, 2005
14 1767-1835, ausser als Gründer der Berliner Universität als Sprachforscher und -Philosoph bekanntgeworden
15) 1772-1829, mit seinem Bruder August zusammen Begründer der neueren Literaturwissenschaft und -kritik mit pantheistischen Tendenzen, dann Rückkehr zu einer romantisch-katholisch verklärten Kulturphilosophie
16 KGA IV 3-8
17 Sie wird bis heute als massgebliche Plato-Übersetzung geschätzt und zitiert.
18 KGA I – die Schriften der Berliner Zeit finden sich in Bd. 2 – 3; die gedruckten Predigten insgesamt sind in KGA III in 15 Bd. wiedergegeben
19 Beide verbunden in Friedrich Schlegel, Lucinde – Friedrich Schleiermacher, Vertraute Briefe über Schlegels „Lucinde“, reclam (Leipzig) 1970
20 Einzelausgabe in der Philosophischen Bibliothek im Felix Meiner Verlag 1978 (Nachdruck der 3. Aufl. 1914)
21 Stark verbreitet war die Neuherausgabe der 3. Auflage durch Rudolph Otto 1913, Neuausgabe durch H. J. Rothert, 1970; kritische Edition in KGA I Bd. 12, dort ebf. die Monologen.
22 Das galt letztlich im Bereich der protestantischen „Orthodoxie“ nicht weniger als in der r.-kath. Kirche als Lehranstalt
23 1714-1804, „Patriarch“ einer besonnenen Aufklärungstheologie, der als Begründer einer theologischen Anthropologie („Religion, eine Angelegenheit des Menschen“) Schleiermacher zu schätzen verstand . Vgl. Albrecht Beutel, Art. Spalding in Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) 4. Aufl. Bd. 7 2004 Sp. 1534f.
24 Schleiermacher hat die Eigenständigkeit des Judentums als Religion geachtet und die Forderung der Konversion zum Christentum als Bedingung der Ermöglichung bürgerlicher Gleichberechtigung abgelehnt (so in seinem Gutachten zu dem Anliegen Jüdischer Hausväter), wenngleich er in den Reden das Urteil abgibt, dass sie „todt“ sei. Auch ihre Erneuerung etwa durch Mendelssohn mußte ihm fremd bleiben, weil sie ihm unter das Verdikt des Rationalismus in der Theologie fallen musste. Im Blick auf seine Theologie ist kritisch festzustellen, dass das Gottesbewusstseins Jesu in seiner jüdischen Prägung und die Bedeutung der Geschichte Israels und des Alten / Ersten Testaments für die Kirche in seiner Systematik defizitär dargestellt ist.
25Die Schriften der Stolper Zeit in KGA I Bd. 4
26 Auch Fichte war zu gleicher Zeit, 1798/99 in Jena in eine sog. „Atheismusstreit“ verwickelt worden (vgl. seine Appellation an das Publikum über die ihm beigemessenen atheistischen Äusserungen vom Januar 1999, (neu hg. Leipzig 1991) also kurz vor der Erscheinung von Schleiermachers Reden, der ihrem fundamentalen Gegensatz zu Fichte zum Trotz analoge Vorwürfe auf dem Fusse folgten – ein beliebtes Argument also von Traditionalisten gegen Neu-Denker in der Theologie, und dies wohl zeitlos.
27 Redeker, Martin, Friedrich Schleirmacher, 1968, S. 112
28Einzelausgabe in der Philosophischen Bibliothek des Felix Meiner Verlags 1981
29Redeker, S. 114f.
30te Schriften der Hallenser Zeit in KGA I Bd. 5. – Einsichten der historisch-kritischen Schriftforschung waren bereits bei Semler leitend. – Manfred Frank bringt den Zusammenhang der Schleiermacher’schen Auffassung auf den scheinbar paradoxen Begriff “Das individuelle Allgemeine“ in seiner gleichnamigen Studie zu Textstrukturierung und Textinterpretation nach Schleiermacher, 1985.
31Der Erstdruck fand eine Neuauflage 1908 durch Hermann Mulert
32 Das damalige Verhältnis Schleiermachers zu Fichtes seit 1794 bekannter „Wissenschaftslehre“ (an der Schleiermacher später das Beste diese Bezeichnung fand), untersucht Hermann Süskind in seiner Dissertation Der Einfluss Schellings auf die Entwicklung von Schleiermachers System, 1909
33 Kantzenbach, S. 91. So sehr, auch dem Stand zeitgenössischer Forschung und Denkweise gemäss, bei Schleiermacher ein „idealistisch“ gefärbtes Jesusbild gegeben ist, unterscheidet er sich doch von seinen idealistischen Zeitgenossen , besonders unter den Philosophen wie Fichte, Schelling und Hegel (bei aller Unterschiedlichkeit von deren Systemen), dadurch, dass er den wirklichen, irdischen Jesus als den Christus meint, von dem allein der Heilige Geist in der Kirche ausgehe – womit er heutigen Fragestellungen anschlussfähig bleibt.
34 Ebd. 126f
35Abdrucke aus Kirchenpolitischen Schriften in KGA I Bd. 9
36 Wilhelm von Humboldt, Über die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin, 1810. A.a.O. S. 142. – Universitätsschriften in KGA I Bd. 6
37 Redeker, S. 137
38Seine Traueransprache ist erhalten. – Leider muß der Verlauf der Ehe als unglücklich bezeichnet werden, da Henriette unter den massiven Einfluss einer Frau geriet, die mit messmeristischen Allüren und falschen Prophezeiungen die Familie tyrannisierte – was er in Achtung vor den Entscheidungen seiner Ehefrau hinzunehmen sich genötigt sah.
39 Bei Kantzenbach S. 108ff. werden Eindrücke aus dem Privat- und Familienleben mitgeteilt – auch wie er, etwa auf Reisen – allenthalben als „Menschenfreund“ erlebt wurde. Er pflegte Kontakte auch mit Dichtern wie Jean Paul und wusste in Kunstsachen sehr wohl Bescheid. Die Schriftstellerin Bettina von Armin, die unter den zahlreichen Gästen zu sein pflegte, fand die Formulierung, sie wisse nicht, ob er der grösste Mann sei, sie sei aber gewiss, dass er der grösste Mensch sei.
40Man vgl. seine Akademierede Über den Begriff der Kunst in Bezug auf die Theorie derselben (1831f.) – s. u.
41 Redeker, S. 142
42 Erste Aufl. 1811 vgl. KGA I Bd. 6; Nachdruck der 2. Aufl. von 1830 hg. von Heinrich Scholz, 1935 bzw. 1977
43 Einzelausgabe von Rudolf Odebrecht 1976 aufgrund der Vorlesungen von 1822, vgl. S. 47ff.; Einzelausgabe in der Philosophischen Bibliothek Felix Meiner (ed. Andreas Arndt) 1988; KGA II Bd. 10, 1 und 2 , 2002
44KGA II in Bd. 1-23
45 Einzelausgabe der Pädagogischen Schriften bei Klett-Cotta 2 Bd. 1983; vgl. Joachim Ochel (Hg.) Bildung in evangelischer Verantwortung auf dem Hintergrund des Bildungsverständisses von F. D. E. Schleiermacher, 2001
46 KGA I Bd. 11. Einzelausgabe der Akademie-Vorträge Ästhetik und Über den Begriff der Kunst in der Philosophischen Bibliothek im Felix Meiner Verlag 1984. Vgl. dazu näherhin die Studien des Künstlers Thomas Lehnerer Die Kunsttheorie Friedrich Schleiermachers 1987 und die von Gunter Scholz zu Schleiermachers Musikphilosophie 1981. Lehnerer verweist auf die Zentralität der Ästhetik, da sie Kunst als die Sprache des Gemüts behandelt, die auch die Sprache der Religion ist – im Unterschied zu Wissen und Handeln. Darauf, dass Schleiermacher auch ein Bahnbrecher neuerer Semiotik ist, verweist Rainer Volp, Schleiermachers Semiotik. In: Zeichen, 1982 S. 114-145
47 Schleiermacher I II 1870 – Neuausgabe Redeker 1966
48Aus den Vorlesungsteilen erstellte Ausgabe in KGA II BD. 4 ; vgl. den Sammelband von Manfred Frank Schleiermacher. Hermeneutik und Kritik, 1977
49Nach den älteren Einzelausgaben (wie in Hendel-Bücher Nr. 1027/38 o. J.) sowie Berlin-New York 1980 in KGA I nach 1. Aufl. 1821f. in Bd.7 (Teilband 1 und 2) und 2. Aufl. 1830f. B. 13 (Teilband 1 und 2). – Beachtlich ist seine gelegentliche Bemerkung: wenn es eine einzige christliche Kirche gäbe. wäre eine Darstellung nach deren Grundsätzen fällig.
50 Calvin, Institutio christiane religionis, 1. Aufl. 1536
51 A.a.O. S. 156
52 Ebd. S. 155
53 Redeker S. 158
54Glaubenslehre I. Theil § 4 Anm.
55Ebd. § 4. Hier auch die argumentative Abweisung von Hegels Invektive
56Nach der älteren Vorlesungsnachschrift 1843 (nach dem Ersten Theil Das wirksame Handeln) Zweiter Teil Das darstellende Handeln, S. 502-705 in KGA II Bd. 5 – auch hier der Vermerk beim Titel, wie in der Glaubenslehre: „nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt“
57Ebd. 563-566
58 Zum folgenden kirchenpolitischen Aspekt sei verwiesen auf die Darstellung in Geschichte der Evangelischen Kirche der Union , hg. von Joachim Rogge, Bd. 1 1992, hier bes. die Kapitel I und II, S. 41 – 269
59 Er war mit einer mecklenburgischen Prinzessin verheiratet, die als solche Lutheranerin war. So sehnte er sich, wie es heisst, danach, mit ihr gemeinsam das Hl. Mahl einnehmen zu können. Wir sehen: was wir heute in der Ökumene „konfessionsverbindende Ehen“ nennen, war schon damals, wie es heute der Fall ist, ein starkes Motiv, überholte Feindschaften und Abgrenzungen zwischen Kirchen zu überwinden um der Seelsorge willen, der obersten kirchlichen Aufgabe: der Pastoral – der „cura animarum“!
60 Er hatte ursprünglich bescheiden erklärt, er wolle hier keine Befehle als Landesherr erteilen, denn „der Glaube ist der feinste Akt der Seele“. „Ich habe in dieser Angelegenheit nichts zu gebieten, ich bin nicht Herr der Kirche“. Ab 1822 aber berief er sich auf das Recht des Landesherrn, wie es seit der Reformationszeit sich eingebürgert hatte – wobei man aber immer bestrebt war, zu unterscheiden, was die Rechte des Landesherrn „circa sacra“ (zur äusseren Fürsorge für die Kirche) waren von den Zuständigkeiten für die Regelung der theologischen und liturgischen Fragen, dem „ius in sacra“, die den kirchlichen Gremien vorbehalten blieben.
61 Danach gilt. im Staat regiert das „Gesetz“, das auch Zwangsmassnahmen erforderlich machen kann, aber in der Kirche gilt: „sine vi sed verbo“, „ohne Gewalt, allein durch das Wort“.
62 So wie heute bereits weitgehend möglich auch zwischen Rom und den Kirchen der Reformation seit der Gemeinsamen Erklärung über Grundfragen der Rechtfertigungslehre, 1999. Was damals zwischen Rom und dem Lutherischen Weltbund beschlossen wurde, ist mittlerweile auch von den Methodisten, den Reformierten und den Anglikaner, ebenfalls auf Weltebene, mit unterzeichnet worden.
63 Ein erster Schritt dahin gelang schliesslich, erst 1835, ein Jahr nach Schleiermachers Tod, in den rheinischen Provinzen Preussens mit der Genehmigung von Provinzialsynoden. Gleichwohl vergingen noch Jahrzehnte bis endlich eine preussische Generalsynode gestattet wurde.
64Die Kunst, Gott zu feiern. Liturgik 1. Aufl. Bd. 1 1992, Bd. 2 1994
65 Speziell in Rede V.
66 Die allgemeine Erörterung in der Glaubenslehre findet sich im Lehrstück Von der Mehrheit der christlichen Kirche in Bezug auf die Einheit der unsichtbaren in II § 150ff. In §150 eingangs heisst es “So oft sich in der christlichen Kirche Trennungen wirklich hervorthun, kann auch das Bestreben das getrennte zu vereinigen niemals fehlen“.
67 Abgedruckt als Nachwort von Karl Barth in Schleiermacher-Auswahl, hg. von Klaus Bolli, 1968 S. 290ff., bes. 310-312.