Für eine Erste gesamtökumenische Enzyklika

Aspekte und Stichworte für Überlegungen zu einer Gesamt-Ökumenischen Enzyklika1

  1. Der Kairos2
    1. chronologisch gesehen:
      • »tertio millennio initiato« …
      • »quinto saeculo passato« …
      • 100 Jahre Christenverfolgung in der Sowjetunion, 80 Jahre UNA-SANCTA gegen NS-Terror und Krieg, religiöse und soziale Jahrhundertdramen heute3
    2. theologisch-qualitativ gesehen:
      • seit dem Vaticanum II die Erklärungen der »differenzierten Konsense« der Weltbünde oder des ÖRK/ Faith and Order mit Rom, bes. Baptist-Eucharist-Ministry (BEM4),
      • am Millenniumsende die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (unter Zustimmung des seither heiliggesprochenen Papstes und der Glaubenskongregation)
      • seit Beginn des neuen Jahrhunderts die Studien der Ev.-Luth./Römisch-katholischen Kommission zur »Apostolizität der Kirche«5, die Folgen der Übereinstimmung »in Grundzügen der Rechtfertigungslehre« für die Frage des Amts auslotend, sowie »Vom Konflikt zur Gemeinschaft«

      parallel dazu:

      • der Prozess der Reaktivierung des zeitweise von internen Spannungen gelähmten ÖRK seit der Vollversammlung in Busan mit seinen Erklärungen zur Einheit der Kirche (Vorlage aus Faith and Order, mit Einschluss r.-kath. Theologen, derzeit analog BEM im kirchlichen Konsultationsprozess)6
      • die Bemühung um ein Panorthodoxes Konzil (mit oder ohne die alt-orthodoxen Kirchen, die andererseits im ÖRK intensiv mitarbeiten)
      • Zusammenarbeit Vatikan–ÖRK pragmatisch, weltweit wirksam: Caritas und Diakonie
    3. personell gesehen:
      • Ein »junger« Papst, der sich uneingeschränkt zu den Zielen des Vaticanum II bekennt
      • der kraftvoll einen inner-römisch-katholischen Reformprozess angestoßen hat und dabei, wenngleich gegen gewichtige Widerstände, von kirchlicher und öffentlicher Unterstützung getragen wird
      • der keine Berührungsängste zeigt mit Vertretern anderer kirchlicher Traditionen7 und seinen historisch gesehen (II. Ökumenisches Konzil) gleich-rangigen Amtskollegen: den Ökumenischen Patriarchen, als Lehrautorität zitiert.

  2. Die Freude am Evangelium und die Freude, die das Evangelium stiftet 8
    • Freude über solchen Titel, noch mehr über solchen Ton und solche Intention eines »Apostolischen Schreibens« aus dem Vatikan, das Christen jeglicher Herkunft erquickte
    • Die Freude als vorrangig kommunikative geistliche Gnadengabe an Christen
    • »Evangelium« als gleichsam hermeneutisches Kriterium der Auslegung aller drei Glaubensartikel9
    • und der Überprüfung amtskirchlicher Praxis und Seelsorge,
    • bis in die gesellschaftlich-politische Diakonie hinein und als
    • Wiederherstellung des urchristlichen Kriteriums des Evangeliums für die Armen

  3. Die Freude der Buße10
    • »Evangelii gaudium« (und die Silvesteransprache vor den vatikanischen Mitarbeitern) ruft zur Neuorientierung jeglichen kirchlichen Dienstes auf, wie sie alle Kirchen mit ihren Mitarbeitern rezipieren können und sollten
    • Das Datum 1517 bezieht sich auf eine von einem Augustinermönch und Doktor der Biblischen Theologie zur Debatte gestellten Katalog von 95 Thesen, deren 62. von der Freude am wahren Schatz der Kirche in der kostbaren Gabe des hochheiligen Evangeliums spricht, deren 1. von der christlichen Busse: »Als unser Herr und Meiser Jesus Christus sagte: »Tut Busse, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen«, wollte er, dass das ganze Leben der Glaubenden Busse sei.«
    • Wenn radikale Busse Voraussetzung echter Erneuerung ist, sollte der Termin 2017 als Kairos radikaler Selbstüberprüfung des kirchlichen Handelns in der Vergangenheit genutzt werden, um den Weg für gemeinsame Zukunftsgestaltung freizumachen.
    • Die in der Erklärung der gemeinsamen Theologenkommission angedeutete Bereitschaft zur Busse am Umgang miteinander und an anderen bedarf gründlicher Untermauerung und umfassender Ausweitung, die in Klarheit auszusprechen ist.
    • Dies geht nicht ohne Überprüfung der Legitimität der Anliegen einst verworfener, obgleich von ihren Anhängern mit gewissensmäßiger Überzeugung vertretener, ja bis zum Märtyrertod be-zeugter Anliegen.11
    • Und es geht nicht ohne die selbstkritische Überprüfung jener Handlungsprinzipien, die – in unserer heutigen Einsicht – zu solch jahrhunderte-altem Fehlverhalten führten.
    • Solche Busse wird dennoch den geschichtlichen Umständen und Denkweisen und so in gewisser Weise allen Beteiligten gerecht zu werden versuchen müssen,
    • ohne aber uns von der uns verpflichtenden Gewisseneinsicht dispensieren zu wollen,
    • vielmehr uns aus der befreienden Freude aufrechter Umkehr aus tiefbegründeter Busse in eine gemeinsam zu verantwortende Zukunft eintreten lassen.

  4. Vor-Reformationen, Reformationen, Post-Reformationen, Reform(ation)en heute
    • Das Jahr 2015 zeigt mit der päpstlichen Aufforderung zur Neubewertung von Person und Verkündigung von Jan Hus ein Modell radikal bussfertiger Besinnung an12.
    • Nicht weniger ist damit zugleich der zumeist tödlich ausschliessende Umgang mit Vertretern zuvor in Gang gesetzter Reformbewegungen (Valdes, der Urheber der anfangs bischöflich gebilligten sog. Waldenserbewegung und anderer biblisch orientierter Armenbewegungen) auf den Prüfstand gestellt – unter welchen sich nur die franziskanische im kirchlichen Institutionengefüge zu halten vermochte
    • wie auch mit anderen Nachfolgebewegungen wie der Wyclifiten, Lollarden, der vom Basler Konzil anerkannten Utraquisten, dann der sich radikalisierenden Husiten,
    • und der sich ähnlich den Waldensern rein biblisch orientierenden friedlichen und machtkritischen »Unität« der Böhmischen Brüder: sie waren gleichwohl
    • durch unzählige Martyrien ihres konzentrierten Christusglaubens wegen als Kirchen der Märtyrer ausgewiesen – semen ecclesiae reformandae.
    • Noch grundsätzlicher spaltend erwies sich der Vorrang der Gehorsamsforderung der kirchlichen Autorität vor der Wahrheitsfindung bei der Krise der Kirche in den Reformationsbewegungen des 16. Jh., obgleich daraus als Frucht konfessionell erneuerte wenn auch nun pluralisierte Kirche(n) des konfessionellen Zeitalters erwuchs(en), ihrerseits andersorientierte Christen verfemend, verfolgend, bekriegend.
    • Endlich Gehör verdienen irenische Ansätze in allen Richtungen, die versuchten, die Gräben konzeptionell und pastoral zu überbrücken, deren Vordenker dem Vorwurf, Abtrünnige, Teufelswerkzeuge, Phantasten zu sein, verfielen.
    • Die ökumenische Bewegung seit Ende des 19. Jh. musste interne Widerstände bis Amsterdam 1948 und das Verdikt Roms bis zum II. Vaticanum überwinden, und
    • nach erster Blüte umfassender Verständigungskultur, bei bleibender fachtheologischer,
    • die kirchliche Aufrechterhaltung konfessionell maximalistischer Positionen erleben, obwohl Konzepte von Anerkennung bei Verzicht auf Verwerfungen vorlagen.13
    • Deren Variationen werden heute als durchlässige Traditionen verstanden und schon erfahren und im Blick auf die zentralen Gemeinsamkeiten gewissensmäßig nicht mehr höherrangig, wenngleich zur konkreten Beheimatung und der Gestaltung der Frömmigkeit dienlich und als wechselseitig sich bereichernde, belehrende und zukunftsbezogen anregende Gestaltungen überkommenen Christentums unersetzlich.
    • Die jeweiligen Reform(ations)erfahrungen vermögen dabei im Austausch miteinander wechselseitig behilflich zu sein, wobei die Stärken jeder Tradition zur gemeinsamen Stärkung des Christentums zusammengeführt zu werden berufen sind.
    • Dieses könnte uns zur Freude der erneuernden Erkenntnis und Schätzung unserer jeweiligen Traditionen, aus denen wir kommen, führen, und zugleich
    • unsere Kirchen, in denen wir beheimatet sind, zur Öffnung füreinander in Akten gemeinsamer Gestaltung des Heute im Blick auf Morgen führen, und schließlich
    • zur Freude an der Gemeinschaft: »Kirchen in Gemeinschaft« auf dem Weg zu »Gemeinschaft der Kirche«.14

  5. Die Freude an der Gemeinschaft christlichen Zeugnisses15
    • Gemeinsam mit allen ökumenischen Dokumenten auch des Weltrats der Kirchen betont »Ut unum sint« gemäß dem Hohenpriesterlichen Gebet Christi für die Einheit der Christen die göttliche Zielsetzung »damit die Welt glaube«.
    • »Evangelii gaudium«16 übernimmt diese Sicht als vorrangiges Kriterium: »die Glaubwürdigkeit der christlichen Verkündigung wäre sehr viel größer, wenn die Christen ihre Spaltungen überwinden würden« und »die Fülle der Katholizität« in allen ihren Gliedern leben würden (§ 244).
    • Dabei wird erinnert »dass wir Pilger sind und dass wir gemeinsam pilgern« – und
    • »dafür soll man das Herz ohne Ängstlichkeit dem Weggefährten anvertrauen« und was in unserer Macht steht tun, um den Frieden untereinander zu gewinnen – »als etwas Selbstgemachtes«, das also in unserer eigenen Verantwortlichkeit liegt.
    • Zugleich wird diese ökumenische Grundorientierung in aktuelle Kontexte gestellt, wenn es umgekehrt heißt, dass das »Negativzeugnis«, das wir bislang geben, den Missionaren in den verschiedenen Erdteilen »Spott« aufgrund des »Skandals der Spaltungen« einträgt – gewiss auch unter ernsthaften Intellektuellen dort wie hier.
    • Die Folgerung: »Daher ist der Einsatz für eine Einheit, die die Annahme Jesu Christi erleichtert, nicht länger bloße Diplomatie oder eine erzwungene Pflichterfüllung« – sie verwandelt sich »in einen unumgänglichen Weg der Evangelisierung« (§ 246). Weiter:
    • »Wenn wir wirklich an das freie und großherzige Handeln des Geistes Gottes glauben« – »wie viel können wir voneinander lernen«: im »Austausch der Gaben«.
    • Diese Linie setzt sich fort in der päpstlichen Enzyklika »Laudato Si«17 über die »Sorge für das gemeinsame Haus«18, die an Eindringlichkeit und zugleich in der Fülle ihrer Konkretionen und der Zuspitzung auf das Los der Armen und Ärmsten beispiellos ist.
    • Zugleich richtet sich die Enzyklika ausdrücklich an die Menschheit insgesamt, wobei die Initiativen anderer Instanzen, auch der Wissenschaften und sozialer Bewegungen, als gewichtig anerkannt werden.19
    • Im Blick auf regionale Varianten der Problemlagen und Lösungsmöglichkeiten werden häufig Stimmen der örtlichen Bischofskonferenzen zitiert20 – womit auch die lokal- regionalen Unterstützungskräfte innerhalb der r.-kath. Kirche benannt sind.
    • Zugleich wird des öfteren auf die christliche Spiritualität allgemein als Kraftquelle in den Herausforderungen verwiesen (§§ 210ff.) – die eine den Christen gemeinsame ist und die unverzichtbar zu sein scheint, wenn es um die Erziehung zuerst von uns Christen selber, sodann aber um die der Menschheit insgesamt geht, bei der wir als Christen gewiss vorangehen sollten.
    • Auch wo hier zu recht nach Bündnispartnern gesucht wird, dürften solche in den anderen Kirchen, die sich dem Gebot des »Evangeliums der Schöpfung« und des Willens Jesu in gleicher Weise wie die in der r.-kath. Kirche verpflichtet wissen, vorrangig in Frage kommen.
    • Dies umso mehr, als die Verankerung der Würde der Schöpfung wie ihrer Geschöpfe in der dreifach markierbaren Wirklichkeit Gottes selber im Geheimnis der Trinität gesehen wird, der sich die Gesamtheit der Kirchen und Christen – und andererseits nur diese – verbunden weiß.21
    • Schließlich wird auf die Dringlichkeit der Aufgabe und somit die der Sammlung und Aktivierung der sich bereitfindenden Kräfte verwiesen, mit Bezug auf die von allen Christen geteilte Verheißung der Vollendung der Schöpfung in Off. 21,5 (§ 243).
    • Dem Gebet für die Erde, zu dem alle Menschen eingeladen werden, ist schließlich ein alle Christen verbindendes, trinitarisches Gebet abschließend angeschlossen.
    • Die Enzyklika ist datiert nach dem Hochfest von Pfingsten – ein Datum, das alle Kirchen und Christen als den des Geburtstags der Kirche überhaupt begehen.

  6. Form und Zeitpunkt einer Gemeinsamen Botschaft
    • Schon aus dem Datum der päpstlichen Enzyklika, zugleich aus ihrem Geist und Wortlaut sei die Hoffnung geschöpft, dass sie ein pfingstliches Schreiben, wie immer es benannt werde, im Namen einer autoritativen Vertretung der gesamten real existierenden Christenheit – ungeachtet ihrer Unterschiedlichkeiten in Lehre, Gestaltung und Frömmigkeitsformen – vorbereite, den Ruf des Schöpfers, die Gnade des Erlösers und die Verheißung der Kraft des Heiligen Geistes der Menschheit gemeinsam zu verkünden.
    • Es wird der Demut aller beteiligten höchstrangigen Vertreter christlicher Weltgemeinschaften bedürfen, jeden noch so begründbaren Anspruch auf Alleinvertretung oder Präzedenz in der Evangeliums-Botschaft zugunsten dieser selbst zurückzustellen.
    • Bedeutet der Zeitpunkt der päpstlichen Enzyklika in 2015 zugleich eine wichtige Mahnung an die Politiker weltweit im Blick auf die für die ökologische Problematik als entscheidend betrachtete Ökologiekonferenz in Paris am Ende des Jahres,
    • so könnte eine 2016/2017 verabschiedete Gemeinsame Erklärung ein Signal der Überwindung der spätestens seit 500 Jahren bestehenden Verfremdungen und Verfeindungen innerhalb der lateinischen Christenheit bedeuten22 und somit die dritte der großen Kirchenspaltungen mildern23.
    • Würde es sich herbei um eine gewissermassen binnen-lateinische Aufarbeitung handeln, so versteht sich, dass eine Gemeinsame Erklärung der Gesamtchristenheit die hauptsächlichen traditionellen Konfessionsfamilien vereinen sollte24.
    • Ohne der Illusion und dem Fehler zu verfallen, als könnten dogmatische und frömmigkeitsgeschichtliche sowie kulturelle Bedingungen als irrelevant betrachtet werden, könnte solche Gemeinsamkeit der Botschaft an die Welt zeigen, dass die Christenheit in grundlegenden Prinzipien einig und zur Zusammenarbeit bereit, mit Leidenschaft eintreten für die universelle Achtung der individuellen menschlichen Würde von Frau und Mann als Ebenbilder Gottes25, für die definitive Orientierung an der sozialen Gerechtigkeit bis hin zu den Ärmsten, dem Kriterium der Ernsthaftigkeit solchen Bestrebens, und für gesellschaftlich durchzusetzende ökologische Achtsamkeit26 – sowie für alle konkreten Schritte, die hierbei erforderlich sind.
    • Dies mag zugleich Prüfstein und Kraft christlicher Glaubwürdigkeit für die weltweite christliche Evangeliums-Verkündigung sein27
    • wie auch Gegen-Kraft gegen Missdeutungen des Christentums bis hin zu den Martyrien so vieler an historischem Fehlverhalten von Kirchen Unschuldiger.

  7. Der Kairos zum Prozess
    • In Gebet und Beratung untereinander scheint es angebracht, sich der Frage zu stellen: Könnte es sich in dieser geschichtlichen Stunde, unter den »Zeichen der Zeit« unserer Tage, um einen vom Geist Gottes, der uns treibt, angebotenen Kairos handeln?
    • Dann wäre er der Impuls zum entschiedenen Fortschreiten in den vom Geist Gottes in den Herzen der Gläubigen in Gang gesetzten Pro-zessen ökumenischer Be-weg-ung.
    • Er könnte ermuntern, Schritte zu wagen aus der gültigen Einsicht in die Bedeutung der »Hierarchie der Wahrheiten«, welche gestattet, von deren Kern her als Quelle, in inspirierter Gemeinschaft zu leben und tätig zu werden – ungeachtet der Unterschiede in peripher-eren und dienstbaren Traditionen.
    • Die Brüderkirche folgte, eine Parallele, seit je hier der Unterscheidung in die essentialia (den Glauben an den Dreieinigen Gott, seine Schöpfung und sein Heilswerk, den wir in Liebe und Hoffnung leben), die ministerialia (deren Kriterium der Dienst hieran ist) und die ritualia (die als Frömmigkeitsformen nach Zeiten und Kulturen variieren mögen).
    • Könnte sich solche Erkenntnis auferlegen – so könnte es sein, dass wir Gott bitten sollten, den Rat und den Mut zu solchem Pro-zess zu geben »den Vielen« – und, wenn möglich (allen Arten von Bedenken zum Trotz): »Allen«.
    • So könnte ein Zeichen gesetzt werden, gemäß der Einsicht, dass es Gott um das Ganze28 geht (Eph. 1,10: ta panta en Christoo).

Anhang: Entwurf möglicherweise anzusprechender Themenbereiche

  1. Einführung – Erläuterung von Form und Ziel der Initiative
    • Falls möglich gesamt-ökumenisch – zumindest virtuell gesamt-ökumenisch, jedoch möglicherweise zunächst zweiseitig Vatikan – LWB, aufgrund der exemplarischen, besonders langjährigen, kontinuierlichen, intensiven und vertrauensvollen theologischen Zusammenarbeit und ihrer zukunftsweisenden Ergebnisse – zugleich aber offenen Charakters.29 Die Absicht ist, aus Anlass eines vielleicht historischen »Kairos« gemeinsam zu sagen, was bereits im Ansatz erarbeitet ist. Keine gewissensmässige Überforderung der Partner, die sich je ihre Selbstreform vorbehalten – aber Entschlossenheit, begonnene Wege fortzusetzen.30

  2. Buße31 – radikal
    • Anerkennung der Mithaftung der Gegenwart für aus heutiger Sicht als fehlgeleitet zu beurteilendes Handeln in einer jahrhundertelangen Vergangenheit – ohne dieses in ungeschichtlicher Weise zu tun. Erklärung der Bereitschaft, diese Problematik offenzulegen und des Mutes der Umkehr von solchem Denken und Tun.

  3. Ecclesia semper reformanda32
    • Würdigung und Neubewertung einst verurteilter, heute aber allgemeiner theologischer Einsicht (wie individuelle Gewissensfreiheit, Bibelorientierung u. a. – s. Vaticanum II) gemässer Kirchenreformansätze früherer Jahrhunderte durch hervorragende Persönlichkeiten und Erneuerungsbewegungen. Erkundung eines angemessenen, methodisch gesicherten Weges, mit heutigen oder künftigen Reformansätzen in der Kirche umzugehen.

  4. Koinonia33 koinonioon (»Gemeinschaft der Kirchen – Gemeinschaft der Kirche«34)
    • Die Freude an der neu gewachsenen Gemeinschaft. Aufnahme verschiedener je einseitiger oder gemeinsamer Erklärungen hierzu, unter Berücksichtigung der bereits gewachsenen und bestehenden gemeinsamen «ekklesialen Wirklichkeit« (vgl. Harding Meyers Vorschlag einer »in via« – Erklärung hierzu).

  5. Leiturgia: communio in diversitate35 – »gerade so« gemeinsam glauben und feiern
    • Den Schatz gemeinsamer liturgischer Tradition als Ausdruck gelebten Glaubens in Gottesdienst und Leben würdigen, der über theologische Konsense oder Konvergenzen hinaus in die Tiefe gemeindlichen Lebens reicht (vgl. den Vorschlag von Bischof Wolfgang Huber in Sibiú/Hermannstadt bei der III. Europäischen Ökumenischen Versammlung).

  6. Martyria: communio in diversitate – »gerade so« gemeinsam hoffen und das Evangelium mit seiner zentralen Botschaft36 gemeinsam verkündigen
    • Die Möglichkeit gemeinsamer Katechese, überwiegend gemeinsamen Religionsunterrichts, öffentlicher Verkündigungsveranstaltungen und gemeinsamen Handelns in der Mission, sowohl in den Ländern zunehmenden christlichen Traditionsabbruchs wie in fremdreligiöser Umgebung, ausschöpfen, hierbei die Achtung der Menschenwürde überall konkret einfordern, religiöse Bildung und Aufklärung fördern und den Prozess von »Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« gemeinsam voranbringen.

  7. Diakonia: communio in diversitate – »gerade so« gemeinsam lieben
    • In der Diakonie vor Ort wie in der internationalen die seit langem gelingende enge Zusammenarbeit christlicher Liebeswerke würdigen und fördern angesichts weltweit wachsender Nöte und diesen Geist in Gemeinden allenthalben verbreiten.

  8. Einladung an alle Christen
    • zu gemeinsamem Mitwirken in gegenseitigem Respekt vor ihren jeweiligen Traditionen – in Bereitschaft zugleich zur Schaffung neuer Traditionen des Miteinander und Füreinander und der Begegnung mit Menschen anderer Religion oder Weltanschauung.

  9. Einladung an alle Menschen guten Willens
    • sich der Berufung zu Einer einzigen Menschheit auf dem kleinen Planeten Erde bewusst zu sein und in Überprüfung wie auch Überwindung jeweils überkommener Religionstraditionen, Ideologien und Doktrinen, welche die Zusammenarbeit und gleichgewichtige Schätzung Anderer behindern – analog dem Prozess der Selbstüberprüfung (»Busse«) der Christenheit – zur Zusammenarbeit aller Menschen guten Willens zusammenzufinden – dabei sich ideologischem Missbrauch von Religionen und Kulturen und dessen Folgen mit Kraft entgegenzustemmen.

    Dr. Manfred Richter, Pfarrer Dipl. Päd.

    am 28. August 2015 – Gedenktag des Hl. Augustinus, des abendländischen Kirchenvaters, dem alle Reformationen verbunden blieben


    Referenzen

    1 Im Sinne einer nicht nur adressatenbezogen ökumenischen, sondern a limine ökumenisch verantworteten Enzyklika (oder welchen Status man ihr geben möchte) an die Weltchristenheit und die Menschheit

    2 Vgl. Mk.1,15; Röm. 3,26 – entsprechend dem biblischen Vorrang der Zeit vor dem Raum (Evangelii gaudium §§154ff.), der Prozesse vor dem Stillstand, der Dynamik vor der Statik

    3 Vgl. Konrad Raiser: Ernstfall des Glaubens. Kirche sein im 21. Jahrhundert

    4 für Deutschland auch: Lehrverurteilungen – kirchentrennend? Vgl. Otto Pesch »Kein Anlass zur Verwerfung«, dazu die Festschritt für ihn unter diesem Titel (hg. von Johannes Brosseder und Markus Wriedt)

    5 Für Deutschland auch: Das Kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge

    6 Vgl. auch den Überblick von Walter Kasper: Harvesting the fruits

    7 Interessanterweise gerade auch nicht mit anscheinenden »Aussenseitern« wie einerseits der ihm in vielem vorbildlichen Minderheitenkirche der Waldenser, andererseits den eine weltweite Basis-Bewegung der Zuwendung zu einem vor-dogmatischen Christentum verkörpernden Pfingstlern

    8 Es werden unterschiedliche Übersetzungen dieses lat. Genitivs vorgetragen, der sowohl als Gen. obj. wie als gen. subj. deutbar ist.

    9 So wird vom Papst gesprochen vom »Evangelium der Schöpfung«, offensichtlich in solchem Sinne Kardinal Kasper vom »Evangelium der Familie«.

    10 So eine Formulierung des lutherischen Theologen Helmut Gollwitzer in Auslegung des Lukasevangeliums, durchaus im Bewusstsein kirchlicher Mitverantwortung an den Menschheitsverbrechen des 20. Jahrhunderts, um Busse als unumgänglichen Weg zur Möglichkeit christlicher Daseinsfreude nach unabweisbarer Schulderkenntnis aufzuweisen. – Erst solche Einsicht wird es ermöglichen, das vom EKD-Rats-Vorsitzenden Bischof Bedford-Strohm erhoffte und gemeinsam mit den r.-kath. Partnern vorbereitete »fröhliche Christusfest« 2017 zu feiern, in Anbetracht unmittelbarer kirchlicher Mitwirkung an Religionskriegen und Menschenrechtsverbrechen (wenn nicht deren Verursachung oder Legitimierung etwa des »weltlichen Arms«) während der vergangenen Jahrhunderte.

    11 Wenn das II. Vaticanum nunmehr die Gewissensfreiheit als Prinzip auch der r.-kath. Kirche ausspricht, kann dies hierbei nicht folgenlos bleiben, was in solchem Zusammenhang grundsätzlich klargestellt werden kann.

    12 Gemäß Meldungen in KNA Ökumene zum Empfang der Brüderischen und Hussitischen Kirchenvertreter und der Bußfeier an den Apostelgräbern; vgl. die Initiativen des polnischen Bischofs Jan Rechowicz 1965, deren Rezeption durch Stefan Swieżawski und Papst Johannes Paul II. (bei seinem Pragbesuch 1993 und in Rom 1999); zuvor schon die neuen katholischen Studien seit P. de Vooght ebenso wie die Bemühungen u.a. von Tomáś Halík, jüngst die ökumenischen Gottesdienste und Seminare in Prag unter Teilnahme der jeweiligen Kardinäle Vlk bzw. Duka. Eine Zusammenfassung in: Joachim Köhler – Franz Machilek: Gewissen und Reform. Das Konstanzer Konzil und Jan Hus in ihrer aktuellen Bedeutung (2015). – Dies kann exemplarische Vorbereitung sein für eine grundlegende Bußhandlung, die zu einer Revision bisheriger Urteile über die »Ketzergeschichte« und so zu neuen ekklesiologischen Optionen führen kann. BEM hat schon seit mehr als zwei Jahrzehnten eine solche Bußhandlung als Voraussetzung und Ermöglichung weiterer Schritte vorgeschlagen.

    13 Es sei auf den sog. Rahner-Fries-Plan als eine der weiterhin diskutierbaren Möglichkeiten verwiesen.

    14 Studie des Deutschen Ökumenischen Studienmausschusses (DÖSTA) zu Fragen der Ekklesiologie: »Kirchen in Gemeinschaft – Gemeinschaft der Kirche«. Erneut sei verweisen auf die im Weltrat der Kirchen unter Mitwirkung r.-kath. Theologen in der Faith and Order – Kommission nach mehr als zwanzigjähriger allseitiger intensiver Beratung in Busan vorgelegte Ekklesiologiestudie, unter Beifall der Vollversammlung angenommen.

    15 Es liegt viel daran, den hohen Ton der Freude von »Evangelii gaudium« auch am Gewinn der Gemeinsamkeit zu bewähren, im Gegensatz zu mürrischer Unfreiwilligkeit, allenfalls mühsamer Bereitschaft zur Erfüllung als unvermeidlich erkannter Verpflichtungen, die meint, durch Gemeinsamkeit Verluste des Eigenen zu erleiden, statt den Gewinn von Glück und Stolz über erreichte Versöhnung und Gemeinsamkeit im Einklang mit dem Willen Christi höher zu schätzen angesichts einer »Gott so liebenswerten, den Engeln erfreulichen, dem Menschengeschlecht so begehrenswerten Angelegenheit« (Comenius Exhortatio ad omnes Christianos, in: De tollendis in rebus fidei dissidiis. Deliberatio Catholica, 1644 § 98).

    16 Zitate aus der von der Deutschen Bischofskonferenz autorisierten Übersetzung von «Evangelii gaudium«

    17 Es wird aus der von der Deutschen Bischofskonferenz autorisierten Übersetzung zitiert.

    18 In dieser erstmals der ökologisch-sozialen Thematik gewidmeten Enzyklika werden mit den aus Texten der Päpste oder der r.-kath.- Soziallehre zitierten in der Sache zugleich Gedanken und Forderungen aus vorhergegangenen Studien des Weltrats der Kirchen unterstützt; vgl. nur Konrad Raiser »Ökumene im Übergang. Paradigmenwechsel in der ökumenischen Bewegung« etwa Kap. IV: »Ökumene. Der eine Haushalt des Lebens« (so bereits 1989).

    19 Hier wird aus dem christlichen Bereich der Ökumenische Patriarch Bartholomaios zustimmend zitiert.

    20 Freilich wirkt es ein wenig als Vermeidung der Nennung der ursprünglichen Initiative (Vollversammlung des Weltrats der Kirchen in Vancouver), wenn der ökumenisch weltweit ausgerufene Prozess der Kirchen für »Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung« nur im Kontext einer lokalen r.-kath. Bischofskonferenz Erwähnung erfährt (vgl. § 92: Dominikanische Bischofskonferenz).

    21 Es sei hier gestattet, auf einen als Theologen wenig beachteten Denker der Trinität, wie sie sich im Gesamt von Schöpfung, Erlösung und kultureller Gestaltung spiegelt, zu verweisen, der im 17. Jh. stellvertretend für die zu engen Fragestellungen der Fachtheologie sich als Bestreiter der sozinianischen Trinitätsleugnung hervorgetan hat: Johann Amos Comenius, Bischof der Brüderkirche (hierzu vgl. die Studien von Pavel Floß, Erwin Schadel, zuletzt Manfred Richter: Johann Amos Comenius und das Colloquium Charitativum von Thorn 1945. Ein Beitrag zum Ökumenismus). Die von uns heutzutage aus der Gefährdung nicht nur der Menschheit sondern der Schöpfung selbst empfundene Dringlichkeit des Handelns, wird bei Comenius im Kontext des Dreißigjährigen Krieges gesehen, zugleich im Rahmen der Vorbereitung der in naher Zukunft erwarteten Wiederkunft Christi – jedoch ermahnt er ausdrücklich auch unabhängig von Terminspekulationen »Alle« zur Teilnahme an einer »Allgemeinen Beratung zur Verbesserung der menschlichen Angelegenheiten« in Kirche und Welt. Es ist der von ihm bereits vor 350 Jahren methodisch durchdachte Entwurf dessen, was wir heute nennen konziliaren Prozess.

    22 Es sei hier auf die vorbildliche Erklärung der ACK Konstanz anlässlich des Gedenkens an die Verurteilung und Hinrichtung von Jan Hus vor 600 Jahren verwiesen: »Die Mitgliedskirchen der ACK Konstanz sehen sich in der Nachfolge der Verantwortung der im 15. Jh., noch ungeteilten weströmischen Kirche …«.

    23 Nach der Trennung der alt-orthodoxen Kirchen von der konstantinopolitanisch-römischen Reichskirche im 5./6. Jh. und der Trennung der Ost- und Westkirche um das Jahr 1000.

    24 Am nächstliegenden schiene eine Dreiervertretung der Christenheit, die zugleich an ihren trinitarischen Ursprung erinnerte, doch mögen auch 7er- oder 12er-Konstellationen diskutierbar sein.

    25 Der Begriff der Würde zieht sich – ebenso wie Begriffe der Schönheit der Schöpfung, des Lebens und der Kultur, auch der Liturgie und der kirchlichen Gestaltung – durch den gesamten Text von »Evangelii gaudium«.

    26 Somit sind wertvollste Traditionen anderer Religionskulturen mit angesprochen.

    27 In diese Richtung weisen die gewichtigen Erörterungen von Busan zum Thema Weltmission.

    28 Der Vorrang des Ganzen vor dem Teilhaften ist mehrfach in »Evangelii gaudium« ausgesprochen. Dieses Apostolische Schreiben kommt – es sei gestattet, darauf hinzuweisen – darin vollständig mit der Theologie des Comenius überein, dem man die Würde eines Apostolischen Lehrers der Menschheit zugesprochen hat (J. G. Herder): in den sieben Teilen seines Hauptwerks »Consultatio Catholica« verweist er unentwegt auf das ΠAN, dem Alle (pantes) sich ganz und gar (pantoos) verantwortlich wissen sollen, die er dazu anleitet in Panegersia über die Erörterung von Panaugia, Pansophia, Pampaedia, Panglossia hin zu Panorthosia durch Pannuthesia.

    29 Wenn nicht gemeinsam mit so zumindest im Benehmen mit dem Weltrat der Kirchen und anderen konfessionellen Weltbünden.

    30 Bundestagspräsident Dr. Lammert, ein engagierter Katholik, sagte in einer Predigt im Jahresempfangs-Gottesdienst des Ökumenischen Rats in der Berliner St. Hedwigskathedrale: »Stellen Sie sich vor: es ist 2015 und nichts hat sich geändert – es ist un-vorstellbar!«

    31 Wie weit die klassischen Elemente: confessio oris und contritio cordis mit einer satisfactio operis zu verbinden sind, sowie wie diese ggf. gestaltet werden könnte, sollte Gegenstand eigener Erwägung sein.

    32 Dieser ursprünglich oft Melanchthon zugeschriebene Begriff wird heute auch r.-katholischerseits verwendet.

    33 Die umfängliche Debatte um die Ausfüllung dieses Begriffs seit dem II. Vaticanum, der vielfach als neuer ekklesiologischer Leitbegriff gesehen wird (auch in der Santiago-Erklärung von Faith and Order 1993) bezieht sich auf deren Interpretation, insbesondere die Verbindung mit dem Begriff einer »hierarchischen Gemeinschaft«.

    34 Wie oben: Titel der Ekklesiologie-Studie der DÖSTA. Vgl. Heinz Schütte »Ziel Kirchengemeinschaft« (1985)

    35 Diversitas meint hier die schon »versöhnte« oder »versöhnbare« Verschiedenheit. Die ursprünglich lutherische Formulierung einer ökumenischen Zielvorstellung ist seither allgemein rezipiert.

    36 Gemäß den schon längst bewusstseinsmäßig rezipierten Formulierungen wie »dass uns viel mehr gemeinsam ist als uns trennt« oder dass die Trennung »nicht bis an die Wurzel« gegangen ist – warum darauf nicht auf-bauen »immer in der Perspektive der Einheit und nicht der Spaltung« (»Vom Konflikt zur Gemeinschaft« § 239)?


    Aus: Oh sancta Simplicitas!, Siedlce 2017, S. 385-399