Grußwort in Nürtingen zum 18. 9. 21 bei Vorstellung von Josefs Buch »Hölderlin und Leonardo«
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Als Freund darf ich noch Worte anfügen – begeistert von diesem Marienlob in der wortlosen Sprache der Musik, die wir hören durften hier in dieser Kirche in ihrer wiedergewonnenen alten lutherischen Marienverbundenheit, wie der überkommene grosse Marienaltar weiterhin hier dokumentiert hat. Und Dank, sage ich, selbst lutherisch geprägt, dass sich Ihre Kirche dieser neu vergewissert hat, indem die herzlose Verbannungsaktion vergangener Zeiten geheilt ist: Gibt doch die Madonna ihr Lob, wie der hier konfirmierte Hölderlin weiß, weiter an den »Höheren«.
I
Walshausen
Mit Walshausen fing ich zumindest erst an, zu ahnen, welche unterschwellige Leidenschaft Josef Nolte seit langem umtrieb – und »wieviel er dein /und deines Gedichtes wegen/ an die Madonna/ gelitten«, o Hölderlin ! Ein Freundschaftskreis, Kreis aus Freundschafts-Kreisen, hatte sich, mit Ingrid geheim verbündet, zusammengefunden, eine Freundesgabe für den Stifter nicht weniger Freundschaften, und solcher die diesen Namen verdienen, vorzubereiten. Was sollte der Stern sein über der Vielfalt der Beiträge, die aus verschiedensten Himmelrichtungen kultureller Erfahrung und Nolte’scher Initiation zusammengekommen waren: am Cover abgebildet Leonardos Bild von der Madonna in der Grotte – inseitig die Gedankenfolge schliessend und aufschliessend, Hölderlin im Wort. In Walshausen wurden sie ihm überreicht – gleichsam stumm als Aufruf und Ermutigung an den »unter dein und deines Sohnes wegen, Madonna,/ unter dein und deines Gedichtes wegen/ o Hölderlin/ und unter dein/ und deines Bildes wegen/ o Leonardo!« Leidenden, seine Leidenschaft weiterzutreiben.
II
Hirschau
Sie brannte weiterhin. So bemerkten wir bei freundschaftlichen Gängen dem Fusse des Spitzbergs entlang, wie ihn gleichsam beflügelte zu bewegteren Schritten das Durchmessen jener Einwölbung am Hang, die arena-gleich vom wohl einst ebenfalls dort wandernden Dichter so erlebt wurde, dass er niederschrieb: »und Römisches tönend / ausbeuget der Spitzberg«. Nicht fernbleiben konnte da, Weinberg an Weinberg sich reihend bis heute, der Gedanke an den Dichter von »Brod und Wein«, der den Christus unbedenklich als den anderen Bacchus dachte. Brot und Wein, »vom Lichte gesegnet«, sind den Menschen ja zur Stärkung in düsteren Zeiten der Gottesfinsternis gewidmet.
Und jenes Haus, das sich da unweit unter den Hang duckt, mit Ausschau zu des Flusses »bläulicher Silberwelle«, beherbergte stets Menschen, die sich dort trafen – fernher – zum Gespräch, in dem sie sich miteinander befanden auch wenn sie entfernt voneinander weilten. Die Madonna vom Holderbusch begrüßte sie, kam man vom Osten heran, sie verabschiedete, fuhr man gen Westen aus.
III
Tübingen A: Theologie
War hier auch früh wenn auch nicht sogleich die Theologie von Wittenberg eingekehrt und hatte hier eine feste Stütze, wenn auch immer wieder von schweizer reformiert abweichenden Gedanken aus dem noch südwestlicheren Südwesten oder intern – altpietistischen Attacken irritiert, so drohte gar schon bald nach 1600 hier im »lutherischen Spanien« gar die pure Heterodoxie auszubrechen, wenn von Medizin («Paracelsismus«) über differenzierende Jurisprudenz über phantasiereiche Geistesarchäologien gar auch neue Eschatologien («Rosenkreuzer- Manifeste!) aufkamen und man Leute wie Johann Valentin Andreae mal kurz in den Karzer stecken mußte. Dazu auch noch Kepler!
Anderthalb Jahrhunderte danach: Hegel und Hölderlin im Stift, von der Frz. Revolution zunächst angetan, – hatten sie diese dann aber auch abgetan, einen Systementwurf einer neuen Gesellschaft hinlegend noch höher hinauf zu greifen. Als Theologen eigener Art wanderten sie aus zur Überbietung von Revolution wie von Theologie: a) der eine in den »Geist« in seiner geschichtlichen Konkretion – b) der andere in eine Philosophie implizierende wie überbietende Poesie – und c) der Dritte im Bunde, der blutjunge Schelling, in Natur- und Religions-Philosophie.
Bald hatten sich im napoleonisch zum Königreiche aufgenordeten Land in Tübingen zwei Fakultäten nebeneinander gebildet und, nach Turbulenzen um die historische Kritik an heiligen Schriften, auch tief braunen Einschnitten – war es seit der Mitte des letzten Jahrhunderts zu einem Wettstreit der Geister in beiden Fakultäten sowohl miteinander wie je intern um die Erneuerung nicht nur einer Kirche und Theologie, sondern der Kirche und Theologie gekommen.
IV
Tübingen B: Meta-Theologie
Zwischen den Fronten gab es da, in Tübingen heranwachsend, einen Theologen, der, durch die offene Denkweise eines Leibnizkollegs, dem er gedient hatte, geübt, seinen Weg machte unbekümmert um rechts oder links und am wenigsten um »Oben« – er wurde mir für immer das Leitbild der Geistesweite und Formkompotenz der genuinen Ecclesia Catholica. Er brachte ein befremdliches Wort auf und forderte ein Denken, das er bezeichnete als Meta-Theologie. Auch als »theologal«. Und wagte dies in einer Studie zu verifizieren, die einem Stoff galt, der in der Theologie – beider Fakultäten – unerschütterlich dazustehen schien, dem Dogma. Das Dogma, einer – genauer: seiner meta-geschichtlichen Fragestellung ausgesetzt, schien nun so sehr in Bedrängnis gebracht zu sein, dass sonst streng gegeneinander polarisierte Kollegen sich darin verbanden, sich von dem andrängenden jungen Kollegen zu trennen – so oder so verlief es, aber unbedingt, gnadenlos.
V
Cambridge, London, Florenz
Der unsanft und unfein erweiterten Studien ausgesetzte Meta-Theologe fand Wege, seine frühe Höderlin-Spur weiter zu verfolgen. In Cambridge wurde er gelehrt, Leonardo zu »schauen«. In Florenz machte er nebenbei die bis lang unentdeckte Entdeckung jenes bislang unverstandenen Mentors der herausragendsten Persönlichkeiten der Reformation im Süden (Michelangelos) und im Norden (Luthers) – ja! beider!, nämlich des Florntiner Stadtreformators Savonarola – als Nachschlag post festum 2017 veröffentlicht zur Belehrung so vieler, die sich für omnisciente Reformationsexperten hielten. Betreffend Hölderlin aber wurden Orte und Archive allenthalben besucht, der Kranz der Hölderlin-Orte umfassend abgeschritten, ohne Scheu auch vor Bordeaux, den Pariser Labyrinthen und den Jenenser Delikatessen. Ich meine, dass noch vor elf Jahren – Stichwort Walshausen – offene Fragen schwelten. Da war schon Hildesheim im Gang. Doch »wich auch da nicht ihm/ aus treuem Sinn/ sein Neckar nicht/ mit seinen / Lieblichen Wiesen und Uferweiden«.
VI
Hildesheim
Immer wieder boten sich in dem von Nolte aufgebauten Studiengang europäischer Kulturgeschichte und -Pädagogik Seminare, Exursionen, Vorträge zur Verfolgung des Themas an. Nolte gibt in seinem Vorwort Auskunft über die Impulsgeber, Beiträger, Gesprächspartner und die schrittweise Erweiterung der Fragestellung, hin auf die Allianz wie Kontraposition von Bild und Wort generell und im speziellen Falle insbesondere: das Bild aus der reifen Frührenaissance in Gestalt Leonardos, das Wort aus der neo – klassisch/ früh-romantischen Achsenzeit in der Gestalt Hölderlins. Und hier spitzt Nolte zu zur Aussage: Hölderlin, der Theologe. Der Theologe der Synästhesie, denke ich.
VII
Nicht nur Hölderlin: Streit um Theopoesie
Nicht erst heute, aber erneut stößt man ins Horn, welches die Theopoesie madig machen will. Ich sage nur in aller Kürze: Was soll denn das unsinnige »nur« besagen – sie sei »nur« Poesie? So recht der Einwand gegen die dogmatischen Positivisten, wie einst Noltes Attacke darauf, behält – nichts geschieht ohne Anmutung, ohne Blitz, ohne Anruf: geschehehen sie von aussen – wie weither immer, oder von innen – aus welcher Tiefe immer (betrachtet doch, »schaut« Leonardo!): Auch Sloterdijk, so wenig wie Fichte, wie Nietzsche, wie Heidegger, haben sich am eigenen Schopf ins Dasein geschmuggelt. Lassen wir mal dem Dritten im Tübinger Bunde das Wort, wenn auch ein spätes bei ihm: »das Seyn (wie bei Hölderlin schon zuvor, und wie bei ihm geschrieben, mit y!) ist vor dem Bewusstsein«. Man darf bei beiden nachgehen dem »Grund im Bewusstsein«.
VIII
Theologie als Topologie und U-Topie
Nehmen wir Abschied von exklusiver Heiligsprechung der Quell-Orte der Theologie(n), freilich sie schätzend als herausfordernde Konkretion, dabei Achtsamkeit übend auf den jeweiligen Vorrang im Gesamt ihrer Loci – dann finde man die, wo die Madonna ihren Platz hat, wie ihr Sohn und die Dienenden – zudem Alle! Kein Verzicht, weder auf Nürtingen und Tübingen, noch auf Athen und Eleusis, noch weniger freilich auf Jerusalem und Patmos, und keineswegs auf Walshausen und Hirschau – noch auf andere heilige Berge, gar siebenfach, und Täler, ja Abgründe, die zu denken geben.
IX
Theologie als Universal
Sie muss aber sein, bleiben und vielleicht erst werden: das Universal, sagen wir »theologal« –
– nicht vergessend, dass -– »damals sollt’ es beginnen« – schon »… gewaltet über / den Menschen hat, statt anderer Gottheit sie/ die allvergessende Liebe«.
– Alles vergeht, doch, sagt sie, nichts ist umsonst.
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Anhang
Für weitere Erwägung, nicht hier und heute, nur ein paar Stichworte zu einem weiteren Ort: Berlin, den Hölderlin nie betreten hat, wenngleich er Berliner wie Wackenroder und Tieck in Jena traf –
zu einer sich noch vor 1806 einstellenden Parallele, die uns in einem theologischen Zeitgenossen Hölderlins begegnet: in Schleiermacher, einer Analogie, die – das Nolte’sche Goethezitat in seinem Vorwort aufgreifend – Nähe und Differenz, ja Polarität zwischen Analogien geradezu klassisch herauszustellen vermag. Der Vergleich legte sich mir nahe, im Sinne der Profilschärfung beider.
(a) Dabei kann nebenbei auch an eine andere »Synästhesie« erinnert werden: hier antwortet das Bild auf den Text: Caspar David Friedrichs »Mönch am Meer«. Es ist das Echo auf des Theologen Schleiermacher Beschreibung des Gott-Menschverhältnisses als »schlechthinige Abhängigkeit«. Sie visualisiert sich geradezu in diesem Bild. Das Bild wurde Anfang des Jahrhunderts gemalt, sogleich verstanden und in Berlin umgehend angekauft.
Übrigens war derselbe Schleiermacher, der parallel morgens Philosophie und dann Theologie las, der erste Philosophen – Theologe (der sich seine Theologie und seine Philosophie nicht gegeneinander auspielen lassen wollte), welcher Vorlesungen und Akademiereden über Ästhetik hielt und sein Praktische Theologie als semiotisch durchdachte Kunstlehre entwickelte.
(b) Doch möchte ich Korrespondenz und Differenz auch im Kontext von Wort und Wort selber benennen zwischen den Zeitgenossen Hölderlin und Schleiermacher, zwei Jahre zuvor geboren.
- Frömmigkeitliche Parallelen bestehen allemal: dort der geradezu welt – reflexive Altpietismus im frommen Württemberg, hier das in hohem Grade selbst – reflexive herrnhutische Frömmigkeitswesen im gottverliebten Schlesien, woher er kam.
- Dem Tübinger Systementwurf läßt sich sein freilich nüchternes Hallenser Brouillon zur Ethik zur Seite stellen, woraus noch praktikable Gesellschaftstheorie entstand.
- Sind beide klar Nach-Kantianer, so ist dieser geprägt durch seine bis heute gelesene Übersetzung Platos mit seiner Götter- wie Dichterdistanz, so jener von einer Vision Griechenlands mit einer Art klassischer Göttervielfalt samt Menschheitstraum, in Verehrung der Dichterschaft Pindars.
- Verließ Schleiermacher bald seine ersten (auch der Freund Friedrich Schlegel forderte »Universalpoesie«) poetischen Versuche, und wandte sich einer die bisherige durch Unterbietung überbietende Neubegründung der Theologie in Anthropologie zu, systemsprengend im Bewußsein fundiert, so schärfte Hölderlin – wie Schleiermacher zuerst Fichte aufgreifend und ihn dann korrigierend – seine Lyrik zu bis zur Ekstase: »Theo- Poesie«.
- Fand Schleiermacher zu ihrer Begründung in der anthropologisch zentralen Provinz des »Gemütes« das für das »Universum« rezeptive Organ, fand Hölderlin in der Sprache das kreative;
- sprach Schleiermacher von des Bewußtseins »schlechthiniger Abhängigkeit« von Gott, so Hölderlin von der dem Menschen (im Dichter) eigenen aktiv himmel-stürmenden Kraft.
- Für beide gilt Schleiermachers Satz: »Was für Wissenschaft die (objektivierende Wissenschafts-)Sprache, ist für Religion die Kunst«
- und gilt für ihn (schon lange vor Beuys!) »alle Menschen sind Künstler« (so sehr er sich insbesondere an die »Gebildeten unter ihren Verächtern« wandte), so gilt auch für Hölderlin (so schwer er sich tat mit unverständiger Geistlosigkeit) dass die Kunst Lehrmeisterin aller zu sein hat.
- Und was Religion/en angeht: War für Schleiermacher der »Mittler« ihm der im uferlosen Meer der Religionen prägende Anker, so hatte für Hölderlin der an den Gestaden Patmos‘ neben den einstigen Göttern aufgerufene »Einzige« gleichwohl seine singuläre Rolle.
- Und blieb dieser, wie er selber klagt, von ihm »zu viel geliebte« gleichwohl der Bruder – wie auch anderer »Himmlischer« – des »Eviers«, des Dionysos, dessen Priester die Dichter sind,
- stellen wir deswegen bis heute eine Fichte in Weihnachtszimmer? der Scherz sei gestattet: (Hölderlin, der Begründer der grünen Weihnachten!) – so kam bei Schleiermacher in seinen »Reden über die Religion« (geradezu zeitgleich: 1799) – für seine besondere Liebe s. die »Weihnachtsfeier«: 1805) – erstmals ein derartiger christlicher Glaube ins Spiel (ganz auf der Menschlichkeit Gottes beruhend: Joh. 1, 14 sei »der Zentralsatz der Dogmatik«), welcher gerade so andere göttliche Menschlichkeiten oder menschliche Göttlichkeiten neben sich ertragen kann (V. Rede).
- Stufte dann Schleiermacher – geschenkt, dass sie über Napoleon nicht einig geworden wären – so wenig wie Württemberg und Preußen! – die Schultheologie pragmatisch zum nötigen Wissen herab, das eine Kirchenleitung braucht, um die Kirche »besonnen« (!) zu leiten, so griff Hölderlin, jedwedes »Amt« lebenslang vermeidend (die Krankheit beschützte ihn endgültig davor), nach der Ode, der Elegie, zum Hymnus, vollends zum Dithyrambus – schliesslich ganz un-»besonnen«(!).
- Kurz nacheinander starben sie, fast gleichaltrig, 1834, 1843. Ihr Vergessen und ihre Wiederentdeckungen verliefen nicht zufällig in ähnlichem Rhythmus.